Glut in samtbraunen Augen
tiefe Wahrheit in sich bargen.
Eine Wahrheit, der sie selbst sich bislang nicht gestellt hatte.
Plötzlich sah sie alles mit ganz anderen Augen. Sie hatte sich auf das Arrangement mit ihrem Onkel eingelassen, ja – und zwar nicht aus Eigennutz, sondern um die Menschen, die sie auf der Welt am meisten liebte, zu schützen. Seitdem lebte sie mit einer Lüge, die aufrechtzuerhalten ihr von Tag zu Tag schwerer fiel.
Konnte so etwas überhaupt richtig sein?
Nein, beantwortete sie sich ihre Frage nach kurzem Nachdenken. Nein, das konnte es nicht. Denn wie immer die Sache auch ausgehen mochte – am Ende würde sie so oder so verlieren.
Sie hörte, wie hinter ihr ein Stuhl über den kostbaren Marmorboden schleifte, dann schob sich eine kleine Hand in ihre und drückte sie sanft. „Vanessa?“
„Es ist schon in Ordnung“, sagte sie, doch ihre tränenerstickte Stimme strafte ihre Worte Lügen. „Wir spielen später etwas zusammen, ja? Ich kann jetzt nicht … Ich …“
Auf einmal spürte sie eine Berührung an der Schulter. Es war Giovanna, Cesares Haushälterin. „Felicia“, sagte sie, „würdest du die Signora und mich bitte einen Moment allein lassen? In der Küche stehen frisch gebackene Kekse. Wenn du möchtest, kannst du dir ein paar nehmen.“
Die Kleine zögerte noch einen Augenblick, dann ließ sie Vanessas Hand los und lief ins Haus.
„Möchten Sie vielleicht darüber reden?“, fragte Giovanna sanft. „Ich verspreche Ihnen auch, dass alles, was Sie mir sagen, unter uns bleiben wird. Der Padrone muss nichts davon erfahren.“
Vanessa spürte, wie ihr die Kontrolle entglitt. Das Schluchzen, das sie so lange zurückgehalten hatte, bis sie fast glaubte, daran ersticken zu müssen, brach aus ihr hervor, und jetzt endlich flossen auch die Tränen über ihre Wangen.
Mütterlich zog Giovanna sie in ihre Arme. „Beruhigen Sie sich, Signora ! Es ist bestimmt alles nicht so schlimm, wie es Ihnen jetzt vorkommen mag.“
„O doch, das ist es!“, stieß Vanessa unter Tränen hervor. „Es ist sogar noch viel schlimmer! Ich weiß einfach nicht mehr weiter, Giovanna. Ich habe das Gefühl, dass ich, ganz egal, was ich tue, immer nur die falsche Entscheidung treffen kann.“
„Jetzt atmen Sie erst einmal tief durch, und dann erzählen Sie mir, was Sie auf dem Herzen haben.“ Sie führte Vanessa zum Tisch zurück und schob sie sanft auf einen der Stühle. Dann setzte sie sich neben sie. „So, und nun fangen Sie an – und keine Sorge, ich habe zur Not den ganzen Tag Zeit, wenn es sein muss. Es wird gewiss niemandem in diesem Hause schaden, wenn die Küche heute ausnahmsweise einmal kalt bleibt.“
Wie von selbst kam Vanessa der freundlichen Aufforderung der Haushälterin nach. Die Worte sprudelten geradezu aus ihr heraus, so, als hätte ein Teil von ihr schon die ganze Zeit auf eine Gelegenheit gewartet, sich endlich alles von der Seele zu reden. Giovanna stellte nur hin und wieder einmal eine Zwischenfrage, ansonsten hörte sie still zu. Und auch, nachdem Vanessa zum Ende gekommen war, blieb sie zunächst stumm.
Vanessa deutete ihre nachdenklich gerunzelte Stirn und ihr Schweigen als Missbilligung und senkte schuldbewusst den Blick. „Sie verachten mich jetzt sicher“, sagte sie, und ihre Stimme bebte vor lauter widerstreitenden Emotionen. „Ich hätte es eigentlich wissen müssen, aber irgendwie hoffte ich wohl …“
„Nein!“, fiel die resolute Italienerin ihr ins Wort. „Ich verachte Sie keinesfalls! Ganz im Gegenteil sogar, ich kann die Situation, in der Sie sich befanden, als Sie auf das Angebot Ihres Onkels eingingen, sehr gut verstehen. Um ehrlich zu sein, ich bezweifle, dass ich anders gehandelt hätte.“
„Tatsächlich?“ Vanessas Augen wurden groß. „Sie verurteilen mich also nicht?“
Giovanna schüttelte den Kopf. „Nein, das würde ich mir niemals anmaßen. Ich würde für meine Enkelin ebenfalls alles tun, wer würde das nicht?“ Sie seufzte schwer. „Das Problem ist aber, dass sich die Situation seit Ihrer Ankunft hier in Fornaci grundlegend geändert hat, nicht wahr?“ Forschend musterte sie Vanessa. „Sie haben sich in Signor Cesare verliebt, habe ich recht?“
Vanessa schloss die Augen. „Ich habe lange dagegen angekämpft, aber es ist einfach passiert“, gestand sie schließlich.
„Dann müssen Sie ihm die Wahrheit sagen.“
„Aber das kann ich nicht!“, wandte Vanessa verzweifelt ein. „Was soll denn aus Grace werden, wenn ich die Vereinbarung mit
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