Glut und Asche
Kerl weg.« A n drej wusste nicht genau, wo er war. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, es ihm zu sagen, und die Kutsche, in die man ihn mit auf dem Rücken gefesselten Händen und zusammeng e bundenen Füßen geworfen hatte, hatte nur ein winziges vergi t tertes Fen s ter gehabt, durch das er verschwommen die Straßen vorbeih u schen gesehen hatte. Sehr viel hätte er auch durch ein größeres Fenster nicht sehen können, denn seine Augen waren mit se i nem eigenen, getrockneten Blut verklebt. Die Männer hatten ihn geschlagen, zuerst drinnen in der Backstube und dann auf dem ganzen Weg nach draußen, wo ein Wagen auf sie wartete. Hart genug, um seine Nase und sein linkes Jochbein zu brechen und ihm schwere innere Verletzungen zuzufügen. Wäre er ein Sterblicher gewesen, hätten seine Chancen nicht schlecht g e standen, diese Tatsache während der Fahrt unter Beweis zu stellen - wo immer diese Fahrt auch hingegangen war.
Er konnte den Männern nicht einmal wirklich verübeln, was sie getan hatten. Sie hatten ihn praktisch mit der Waffe in der Hand über dem toten Mädchen kniend vorgefunden, und Ma r cus hatte schon am Morgen keinen Zweifel daran gelassen, dass er ihn gewisser Dinge verdächtigte, die selbst in einer so wel t offenen und liberalen Stadt wie London mit einem Tabu belegt waren. Vermutlich konnte er noch von Glück sagen, dass sie ihm nicht gleich an Ort und Stelle die Kehle durchgeschnitten hatten.
Immerhin war ihm klar, dass er sich nun in einem der zah l reichen Gefängnisse Londons befand, und - auch wenn der Raum, in dem er sich gerade aufhielt, nicht darauf schließen ließ - anscheinend in einem der übleren Sorte, wie die schli m men Gerüche und das Leid und die Furcht bewiesen, die aus allen Richtungen auf ihn einströmten und seine Sinne marterten - einschließlich derer, von denen er vor wenigen Stunden noch nicht einmal gewusst hatte, dass er sie besaß. Vielleicht war es nicht nur von Vorteil, die Welt plötzlich in solch überdeutlicher Schärfe zu sehen.
Eine Tür ging auf und wieder zu, und er hörte Schritte, wa r tete aber vergebens darauf, dass jemand in sein Sichtfeld trat. U m drehen konnte er sich nicht, denn die beiden Männer, die ihn hereingebracht hatten, hatten ihn nicht nur grob auf den Stuhl gestoßen, sondern ihn auch mit festen Stricken daran g e fesselt. Andrej hätte sich ohne allzu große Mühe befreien kö n nen, indem er einfach den Stuhl zerbrach, und ebenso sicher wäre er auch mit den beiden Wachen rechts und links der Tür fertig geworden. Aber draußen auf dem Gang standen noch weitere Männer, und allein auf dem kurzen Weg vom Eingang hier herauf hatte er mindestens ein Dutzend Soldaten gesehen, von denen ihn die Hälfte so hasserfüllt angestarrt hatte, als könnte sie sich nur noch mit Mühe beherrschen, sich nicht auf ihn zu stürzen. Aber auch seinen Kräften waren Grenzen g e setzt, selbst wenn es nicht so gewesen wäre, lag es nicht in se i nem Interesse, einen Krieg vom Zaun zu brechen. Der Reaktion seiner Bewacher nach zu urteilen waren Abu Dun und er ohn e hin schon so etwas wie Berühmtheiten. Auch wenn er auf diese Art von Berühmtheit gerne verzichtet hätte.
Die Schritte, die kurz gestockt hatten, erklangen erneut, und Konstabler Marcus trat um den schweren Schreibtisch herum und sah ihn auf dieselbe, fast teilnahmslose Weise an wie vo r hin, als er ihn geschlagen hatte. Andrej schien es, als wolle er etwas von ihm hören, aber er wusste nicht was und konnte sich auch nicht vorstellen, dass irgendetwas, das er s a gen konnte, das Bild, das der Konstabler sich von ihm gemacht hatte, ä n dern würde. Also schwieg er.
Marcus verzog kurz - und eindeutig enttäuscht - die Lippen, setzte seinen Weg dann fort und ließ sich in den betagten L e dersessel hinter dem Schreibtisch fallen. Seine Fingerspitzen strichen über die zerschrammte, aber makellos saubere Platte und zeichneten ein nur für ihn sichtbares Muster nach, während er seinen Blick auf Andrejs Gesicht heftete - als würde er eine ganz besonders giftige exotische Schlange oder Spinne b e trachten.
»Sie wissen, wo Sie hier sind, Mister Delany ?«, fragte er schließlich.
Andrej tat ihm den Gefallen, sich so aufmerksam umzus e hen, wie es seine Fesseln zuließen, die so eng angelegt waren, dass sie ihm das Blut abschnürten. Der Raum war einfach, aber schon fast pedantisch sauber und ordentlich eingerichtet: der Schreibtisch, hinter dem Marcus Platz genommen hatte, eine Anzahl
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