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Glut und Asche

Glut und Asche

Titel: Glut und Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Erfahrung zu lernen, dass auch ein Mann mit auf den Rücken g e fesselten Händen ein tödlicher Gegner sein konnte, riss etwas an seinem Fuß, und das so hart, dass er das Gleichgewicht ve r lor und der Länge nach hinschlug. Die Kette, die von seinem rechten Fußknöchel zu einem in den Boden eingelassenen e i sernen Ring führte, hatte er nicht einmal bemerkt.
    Er schlug so heftig auf dem Boden auf, dass eine Woge dumpfer Betäubung hinter seiner Stirn aufbrandete und er um ein Haar das Bewusstsein verloren hätte.
    Irgendwie gelang es ihm, die Ohnmacht noch einmal z u rückzudrängen und sich halb in die Höhe zu stemmen. Auf di e se Weise fand er wenigstens noch Gelegenheit, Marcus dabei zuzusehen, wie dieser sich bückte und einen Teil des zertrü m merten Stuhles aufhob, um ihn damit endgültig bewusstlos zu schlagen. Der nächste Morgen kam mit einem blutroten So n nenaufgang, der den schmalen Ausschnitt des Himmels, der durch das wi n zige Fensterchen seiner Zelle zu sehen war, in Brand zu setzen schien. Vielleicht tobte das Feuer auch in ihm. Andrej hätte nicht sagen können, ob es tatsächlich der nächste Morgen war oder schon der darauffolgende oder ob vielleicht nur eine Stu n de vergangen war oder gar noch weniger Zeit...
    Genau genommen konnte er sich an rein gar nichts erinnern. Vielleicht noch an seinen Namen - und nicht einmal mehr de s sen war ersieh vollkommen sicher - und an eine schier endlose Zeit voller Qualen und Schreien, unvorstellbaren Schmerzen, hilfloser Wut und dem Gestank nach verbranntem Fleisch, dem Geruch seines eigenen Blutes und anderen, noch ungleich schrecklicheren Dingen, die er lieber vergessen wollte.
    Marcus hatte gelogen. Auch wenn er den Grund nicht kannte, war er sich doch dessen vollkommen sicher. Angesichts der Situation, in der er sich befand, und dessen, was in den zurüc k liegenden Stunden oder auch Ewigkeiten geschehen war, schien das Wissen darum nicht von Bedeutung, zugleich aber war di e se Sicherheit vielleicht das Einzige, was ihn davor bewahrte, vollends in einem schwarzen Strudel aus Verzweiflung und Qual und schierem Entsetzen zu versinken. In der Nacht, die hinter ihm lag, hatte er gelernt, seine eigene Unsterblichkeit zu verfluchen, spätestens in dem Moment, in dem er zum ersten Mal die Grenzen dessen erreicht hatte, was ein Mensch ertragen konnte - selbst jemand wie er -, und sie überschritten hatte, um neue, bisher unvorstellbare Dimensionen der Pein kennenz u lernen. Er wusste nicht mehr, wie lange es her war, dass sie aufgehört hatten, ihn mit glühenden Zangen und Messern, mit weiß glühender Kohle und scharfen Klingen zu quälen, sein Fleisch zu versengen, zu zerschneiden, seine Knochen zu br e chen. Irgendwann hatten sie von ihm abgelassen, und später, eine Ewigkeit später, in der sein Körper versucht hatte, all die schrecklichen Wunden zu heilen, die in ihn geschlagen worden waren, und ihm dabei neue, nicht minder schreckliche Qualen bereitet hatte, war Marcus' Gesicht wie aus einem blutigen N e bel vor ihm aufgetaucht, ausdruckslos, kalt wie eine aus Stein gemeißelte Maske, ein Gesicht, in dem nichts Lebendiges mehr war - nicht einmal die Augen, die ihn so mitleidlos und kalt a n gestarrt hatten, Augen, die zwar sehen konnten, hinter denen aber keine Seele war, wie eine perfekte Imitation aus bemaltem Glas. Er hatte den Folterknechten Einhalt geboten und gewartet, bis sein Körper die schlimmsten Verletzungen geheilt hatte und das Leben ganz allmählich wieder zurückgekehrt war.
    Dann hatten sie von vorne angefangen.
    Und wieder.
    Und wieder.
    Und immer und immer und immer wieder.
    Irgendwann hatte er keine Kraft mehr gehabt, um zu schre i en. Er meinte sich zu erinnern, dass selbst die Folterknechte irgendwann so müde und erschöpft - und vielleicht auch en t setzt - von ihrem schrecklichen Tun gewesen waren, dass Ma r cus sie fortgeschickt und nach anderen verlangt hatte, die an ihrer Ste l le fortfuhren, und das vielleicht nicht nur einmal. Aber er war nicht sicher. In seiner Erinnerung waren die Stunden, die hinter ihm lagen - wenn es Stunden gewesen waren, nicht Tage oder Ewigkeiten - irgendwann zu einem einzigen, buchstäblich endlosen Augenblick der Agonie verschmolzen. In seinem la n gen Leben hatte er mehr als einmal geglaubt, die Hölle ke n nengelernt zu haben -aber in dieser Nacht hatte er es.
    Und es war noch nicht vorbei. Vielleicht endete die Nacht. Vielleicht war das lodernde rote Fanal über ihm der Beginn e i nes

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