Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Glutnester

Glutnester

Titel: Glutnester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Diechler
Vom Netzwerk:
austrocknen werden. Doch der Regen legt nur eine stille Pause ein, die kurz durchatmen lässt. Elsa parkt ihren Wagen im Zentrum. Sie hat das Bedürfnis, einige Schritte zu gehen. Sich bewegen. Die Muskeln spüren. Sie hat sich lange nicht mehr um ihren Körper gekümmert.
    Wie sie so dahinschlendert, vorbei am Hotel Traunsteiner Hof in der Gapstraße, nimmt sie sich vor, demnächst einen ausgiebigen Kulturspaziergang durch das Städtchen mit dem schönen Jacklturm zu machen. Sie will die Salinenkapelle, das geistliche Zentrum der Au, das 1630/31 erbaut wurde, anschauen und natürlich die Lourdes-Kapelle im Pfarrhof am Maxplatz, die inmitten kleinstädtischer Geschäftigkeit thront. Danach kämen die Fassaden der Jugendstilhäuser dran, die sie allesamt noch nicht begutachtet hat, und schließlich die städtische Galerie. Höchste Zeit, dass sich ihr die Gegend, in der sie arbeitet, erschließt. Wie soll sie Heimatgefühle, Verbundenheit entwickeln, wenn sie noch nicht mal weiß, wo und wie sie lebt?
     
    In Kruchenhausen geht in dieser Minute ein Mann in die Knie. Hebt einen Slip auf, der sich vor ihm ausbreitet wie ein Geschenk. Schlüpft mit dem Zeigefinger in die schmalste Stelle. Hebt ihn an. Der Slip vollführt einen verheißungsvollen Tanz vor seinen Augen. Der Mann führt sich den Stoff an die Nase. Gierig. Und saugt. Zieht den für ihn süßlich-intensiven Geruch des weiblichen Geschlechts ein. Eines Hautstücks, das sich noch vor Kurzem in die Mitte des Slips geschmiegt hat. Passgenau. Eine sanfte, verborgene Blüte. Seine Nasenwände weiten sich, bis es nicht mehr geht. Seine Augen verengen sich zu abwesenden Schlitzen. Die Hand krümmt sich um den dünnen Stoff. Ballt sich zur Faust zusammen. Dann lässt alles nach. Abrupt. Die Augen springen auf. Die Hand lässt ab. Der Slip fällt zu Boden. Die Nase pustet Luft aus.
    Jetzt fährt die Hand an den Reißverschluss seiner Hose. Er öffnet ihn hastig. Greift sich begierig unter einen anderen, dickeren Stoff. Spürt die bissige Hitze des freigelegten Fleisches. Das gewaltige Pochen der Lust empfängt ihn. Seine Hand umfasst das Fleisch endgültig. Er unterdrückt ein befreiendes Stöhnen. Das Tier wacht empört auf und fährt seine Krallen aus. Er hat längst aufgehört, den Hunger in sich bezwingen zu wollen. Hat sich den schmatzenden Geräuschen, dem nicht enden wollenden Appetit ergeben. Sein Unterkiefer bewegt sich knirschend. Zermalmt jedes leise Wort der Schuld und der Ablehnung. In seinem Gehirn tanzen Stahlnägel. Wüten hart in ihm. Bohren und schlagen ein Loch des Nichtwissens. Er beginnt, hart an sich zu arbeiten. Der Duft des Slips begleitet ihn. Sein Leben findet im eisigen Schatten seiner heißen Begierde statt. Und er muss gehorchen.
     
    Elsa erreicht die Eugen-Rosner-Straße und stürmt in ihr Büro. Während des kurzen Spaziergangs durch Traunstein, der sie seit Langem wieder mit ihrem Körper in Verbindung gebracht hat, hat sie ein unbändiger Eifer gepackt. Die verstorbenen Schwestern, Luise und Veronika, lassen ihr keine Ruhe. Sie will so schnell wie möglich alles, was mit dem Tod der beiden zusammenhängt, in Erfahrung bringen. Und den verschwundenen Schlüssel finden.
    Degenwald ergeht es offenbar ähnlich. Er durchschreitet, kaum hat er sie gehört, das leer stehende Büro, das sie voneinander trennt. Bevor er erscheint, erklingen seine energischen Schritte auf dem Linoleum. Das leise Geknautsche seiner optisch kaum wahrnehmbaren Absätze ist seine akustische Visitenkarte. Wenig später sieht Elsa seinen stattlichen Körper im Türrahmen. Dann erblüht ein nicht minder stattliches Lächeln in seinem Gesicht.
    »Guten Morgen, Elsa«, grüßt er.
    Elsa? Seit wann spricht er sie bei ihrem Vornamen an? Oder ist ihm der einfach nur rausgerutscht?
    »Guten Morgen«, geht sie, trotz ihrer eilig wahrgenommenen Verwunderung, mit einer süß wie Zuckerguss klingenden Tonlage auf seinen lockeren Ton ein. Ihr Gruß klingt verheißungsvoll. So, als spräche sie ihn vor einem entspannenden Abendessen aus. Oder als Vorbereitung zu einem Kinobesuch.
    Seltsamerweise muss sie gerade jetzt an Papageien und Schwäne denken. Und an Gänse. Die trennen sich in freier Wildbahn lediglich durch den Tod von ihrem Partner. Ob Karl Degenwald und Papageien etwas gemeinsam haben?
     
    Im Wagen – sie fahren in Degenwalds grünem Audi – redet Elsa ohne Punkt und Komma. »Wir teilen die Schwestern und das dazugehörige Umfeld unter uns auf.«
    »Sie sprechen

Weitere Kostenlose Bücher