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Glutnester

Glutnester

Titel: Glutnester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Diechler
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meine Gedanken aus«, erwidert Degenwald.
    »Da Sie bereits bei den Gasteigers Ihr Glück versucht haben, nehm ich sie mir diesmal vor. Vielleicht bekomme ich mehr aus der Familie heraus. Fremde haben mitunter einen Vorteil.«
    »Mag stimmen.«
    Elsa schaut Degenwald von der Seite an. Wie er sich mit der Hand über seinen langsam wachsenden Bart fährt. Als würden ihn die Stoppel stören. Oder als würde die Aufmerksamkeit, die er plötzlich auf sich lenkt, eine fremde Faszination auf ihn ausüben.
    »Züchten Sie etwas heran, oder haben Sie die letzten Tage verschlafen und keine Zeit zur Rasur gefunden?«, traut Elsa sich zu fragen.
    »Weder noch. Mehr-Tage-Bärte sollen bei Frauen neuerdings gut ankommen.«
    »Suchen Sie was Weibliches für den Feierabend?« Elsa lacht, ohne es zu wollen. Ein verunglücktes Lachen, das ihr einfach so herausgerutscht ist.
    »Suchen nicht. Finden wäre allerdings prima.«
    Elsa bringt nichts weiter heraus, weil ihr die Zunge am Gaumen festklebt. Wo ist nur die Spucke geblieben? Einen langen Moment schiebt sich ein Schweigen zwischen sie. Und bleibt. Dann gelingt ihr ein weiterer Satz. »Sie kümmern sich um alles, was mit Veronika Steffel zu tun hat. Vielleicht hat Michael Horn ja schon was Entscheidendes für uns. Oder Ben.«
    »Den würde ich gern Ihnen überlassen. Heimvorteil hilft immer.«
    »Heimvorteil?« Elsa wiederholt das Wort in schnippischem Ton. Auf ihrer Stirn wächst eine deutlich sichtbare Falte, die sie härter erscheinen lässt, als sie ist. »Dass Sie immer noch darauf herumreiten?«
    »Er ist ja auch immer noch scharf auf Sie.«
    »Ich aber nicht auf ihn.«
    »Weiß er das denn?«
    »Unser Gespräch könnte missverständlich enden, lieber Dr. Degenwald. Und bei unseren mannigfaltigen Problemen schlage ich vor, wir konzentrieren uns auf berufliche Fakten. Nicht auf private Spekulationen. Aber natürlich rufe ich Ben an. Wenn Ihnen damit geholfen ist.«
    Degenwald erspart sich eine Antwort. Stattdessen entkommt ihm ein unbehagliches Schnaufen, während er Gas gibt und der Wagen sich die Bundesstraße entlangkämpft.
    Die Wolkendecke, die die letzte Stunde Löcher ins tiefe Grau gerissen hatte, schließt sich erneut. Träger Regen setzt ein. Regen, der wie in der Landschaft verirrt aussieht. Fäden, die noch immer nicht hingehören, wo sie sind, denkt Elsa. Während sie, bis aufs Wetter gedankenlos, aus dem Fenster schaut, spürt sie, wie es in ihr drin kribbelt. Ein fremdes, lange zurückliegendes Gefühl, das sie zuerst nicht richtig einordnen kann. Nach einer Weile, die vergeht, indem nichts passiert, als dass Bäume, Wiesen, Hügel und Gebirge an ihr vorbeiziehen und einige wenige Autos, gesteht sie sich eine knospende unschuldige Begeisterung über den kleinen Disput mit ihrem Kollegen ein. Ein holprig ausgeführter verbaler Schlagabtausch, der sie für einen kurzen Moment etwas erahnen lässt. Etwas, das sie verwirrt. Karl Degenwald beschäftigt sich mit ihr.
    Und da fühlt sie es wieder. Die Sehnsucht nach ein bisschen Glück, die verdammt wehtut. Weil es eine ist, die keine Aussicht auf baldige Erfüllung hat.

5. Kapitel
    Eine Viertelstunde später, deren Minuten sich anfühlten, als hätten sie sich verdoppelt, sitzt Elsa in der Küche der Gasteigers. In Kruchenhausen. Degenwald hat sie in dem Ort, der nicht mal wie einer aussieht, abgesetzt und ist anschließend weiter nach Point gefahren, um sich dort mit einem von Bens Kollegen von der Spurensicherung zu treffen.
    Elsa blickt sich zuerst einmal um. Sie sieht eine helle Fichtenholzküche älteren Datums, mit dazu passender Essecke. Die Arbeitsfläche der Küche ist vollgeräumt mit allem möglichen Krimskrams. Dingen, die nicht unbedingt in eine Küche gehören. Zusammengelegte Pullover etwa, eine offen stehende Kiste mit Verbandszeug und aufgeschlagene Kreuzworträtselhefte. In der Ecke gegenüber dem Essplatz steht ein Vogelkäfig, in dem ein hellblauer Wellensittich vergnügt vor sich hin krächzt. Elsa kehrt zu sich selbst zurück und konzentriert sich auf den Mann, um den sie sich kümmern muss. Den hätte sie sich niemals derart ansehnlich vorstellen können. Roland Gasteiger, Luises Mann, ist Anfang 70, mäßig groß, etwa 1,75 Meter, hat aber ein derart markantes, jungenhaft wirkendes Gesicht, dass er kaum zu übersehen ist. Elsa kann lange nicht den Blick von ihm wenden. Sieht ihn einfach nur an, während er schweigt. Seine Adlernase thront inmitten einer homogenen Masse. Fein modellierte

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