Glutnester
Gesichtszüge. Sogar seine Falten scheinen ins Gesicht zu gehören. Unbedingt. Falten wie Schmuck. Hauptsächlich um die Augen, und links und rechts des Mundes. Unter der Nase nimmt ein feines Gebilde weicher Lippenstreifen, die er locker aufeinandersitzen hat, das Gesicht ein. Ober-und Unterlippe sittsam beieinander. Wie brave Kinder. Die Haare, sehr kurz geschnitten, sehen weißblond aus, sodass man das Weiße, das sie wohl beherrscht, eher erahnen als tatsächlich bemerken kann. Seine Hände sind ineinander verschränkt, als wolle er ein stilles Gebet an den Herrgott richten. Sie verstecken seinen einzigen Makel. Unregelmäßig abgekaute Fingernägel. Über deren sichtbaren Rand lassen sich graubraune, schmutzige Flecken sehen. Elsa entdeckt den Ehering, den er immer noch trägt. Einen schmucklosen goldenen Ring. Roland fährt sich mit der unberingten Hand über sein kariertes Hemd aus Flanellstoff und legt die Hände anschließend auf seine ausgewaschene Cordhose. Wie zum Ausruhen. Über dem Hemd trägt er einen Janker in Grün. Walkstoff. Knöpfe aus Hirschgeweih. Die Jacke hat er für sie angezogen. Sie kann ihn sich zu Hause einfach nicht mit dieser Jacke vorstellen. Die muss für besondere Gelegenheiten sein. Für Tage wie heute. Wenn er mit der Polizei in Kontakt tritt. Seine Augen, undefinierbar hell in der Farbe, huschen hin und her und verkriechen sich dann wieder in die Höhlen, als hätte sie jemand zur Ruhe gezwungen. Er ist schwer einzuschätzen. Er bietet zu viel Unterschiedliches, sinniert Elsa vor sich hin, bevor sie mit dem Verhör beginnt.
Nach einer halben Stunde gibt sie auf. Aus Roland
Gasteiger, dem Witwer, der pflichtbewusst Auskunft gibt, ist trotz seiner Offenheit nichts herauszuholen. Zumindest nichts, was sie weiterbrächte.
»So a Unglück«, murrt er die ganze Zeit über vor sich hin. »A schrecklich’s Unglück.« Als könne sein knurrender Singsang ihm die Frau zurückbringen. Ertrotzte Rückkehr. Elsa erfährt nichts, bis auf die Tatsache, dass die Ehe mit Luise eine gewöhnliche gewesen war.
»D’ Arbeit und d’ Kinder ham uns z’ammg’halten. Und am End die Krankheit. I konnt s’ doch net im Stich lassen. Selbst wenn i a Bessre g’funden hätt. I hob Ja zu ihr g’sogt. Und i halt mei Wort.« Er spielt mit den Händen an den Hirschknöpfen herum. Gibt seine entstellten Finger preis. Elsa kann nicht anders. Sie folgt präzise seinen Umdrehungen. Fährt mit einem nach innen gewandten Blick die Richtungen nach, in die er die Knöpfe dreht. Als könne ihm dieses Drehen Ruhe und Ausgeglichenheit bescheren. Und ihr einen Weg in einem Verhör weisen, von dem sie nicht weiß, wo es hinführen soll.
»Sie hatten oft Streit mit Ihrer Frau. Worum ging’s da, Herr Gasteiger?«
»Um nix B’sonders, Frau Kommissar. Und sagen ’S um Himmels willen Roland zu mir. Bei Herr Gasteiger schreckt’s mich nur.« Roland Gasteiger macht eine Pause, die er dazu nutzt, den letzten Knopf seiner Jacke loszulassen. So, wie er seine Frau für immer loslassen musste. Durch einen unsinnigen, noch zu klärenden Tod. Dann spricht er weiter. Die Hände wieder friedlich im Schoß vereint. »Eifersüchtig war s’ halt, die Luise. Jeden Rockzipfel hat’s für mi vorg’sehn, damit’s mir was vorwerfen konnt. Mit der Zuckerkrankheit is zänkisch g’worden. Ich hob hoit mitg’stritten. Sonst wär s’ no verrückter g’worden. Bleiben ’S mal ruhig, wenn d’ Frau streiten wui. Des wär schlimmer ois a Blitzschlag, der ins Dach fährt. Für d’ Luise gab’s koan Blitzableiter. Sie wollt immer ois oder nix.«
»Und? Haben Sie ihr alles gegeben?«
»Ois, was i konnt. Mehr ging net. Sonst hätt’s mi z’rissen.«
Elsa nickt. Sie muss sich eingestehen, dass sie Roland Gasteiger versteht. Seine Blicke, die wie flüchtige Bekannte in seinem Gesicht wirken. Und seine Argumente sowieso. »Nach so a langen Zeit, die i mit der Luise verbracht hob, is ma eher Freind ois Mo. So is es hoit. Die Art Wahrheiten erfährt ma net vorm Traualtar. Nach am irrsinnigen Polterabend und am Brummschädel, der ei’m no lang vorg’halten wird. Die bringt ei’m des Leben selbst bei. Nur net immer so, dass es ei’m bekommt.«
»Ja, ich weiß.« Elsa ertappt sich dabei, dass sie Roland Gasteiger innerlich bereits freigibt. Sie mag ihn. Er ist nicht der sympathische Typ, aber der grundehrliche. Auf eine Art und Weise ehrlich, auf die man es selbst gern wäre.
»I hob oft mei Plag’ mit ihr g’habt. Aber wissen
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