Glutnester
’S, i vermiss sie. Trotz allem.« Plötzlich stehen ihm Tränen in den Augen. Tränen des Kummers und der Einsamkeit, die er nicht länger verstecken kann und auch gar nicht will. »Ma plogt si schließlich a mit si selbst ob. Da ko’s do net sei, dass es ei’m mit dem Menschen, mit dem ma unter ei’m Dach lebt, besser ergeht, oder?«
Elsa nickt in einem Tempo, in einer Heftigkeit und mit einer Ausdauer, die sie selbst überraschen.
Vielleicht könnte sie noch mit Hartmut zusammen sein? Wenn sie nur akzeptiert hätte, dass er nicht länger ihr Mann und ihr Liebhaber sein konnte, sondern lediglich ihr Freund. Vermutlich hätte sie weniger Ansprüche an ihn stellen müssen. Zufrieden mit dem sein, was das Leben freiwillig gab. Ein Gedanke, den sie im selben Moment, in dem sie ihn zulässt, wieder verwirft. Als hätte sie sich jemals mit Halbheiten zufriedengegeben. Da ist sie der verstorbenen Luise Gasteiger viel zu ähnlich.
»Danke für Ihre Offenheit. Und nebenbei erwähnt, ich arbeite vorwiegend als Kriminalpsychologin.«
Roland Gasteiger löst die Hände aus seinem Schoß und legt sie, einzeln und fein säuberlich nebeneinander, auf den Tisch. »Psychologin? Oane, die si den Schmutz der Leit o’schaut. D’ innere Jauchegrubn.« Er lacht flüchtig und mit seltsam verschlossenem Mund auf. Kaum befreit, zieht sich sein Lachen schnell in sein Innerstes zurück. Als habe er es zu früh losgelassen.
»Interessanter Vergleich. Und ganz falsch liegen Sie damit auch nicht«, gibt Elsa zu.
Als sie aufsteht, um zu gehen, hält er ihr die Hand hin. Seine durchsichtig erscheinenden Lippen, die sich kurz öffnen, wie um nach Luft zu schnappen, lassen einen schmalen Streifen misslungener Zähne sehen. Sie stehen krumm nebeneinander. Zum Teil halb übereinander gewachsen. Als böte sein Mund zu wenig Platz für zu viele Zähne. Gelb verfärbte Zähne mit noch dunkleren Rändern kurz vorm Zahnfleisch. Elsa merkt, wie ihr ein kurzer Schauer den Rücken hinabläuft. Sie schafft es gerade so, ein sichtbares Schütteln zu verhindern. Dann schlägt sie ein und spürt, wie ein mit Fleisch überzogenes Knochengerüst in ihrer Hand liegt. Kein Druck, den sie erwidern könnte. Sondern die seltene Hingabe einiger Finger und des dazugehörigen Handgelenks.
Als sie so dasteht – mit einem Stück Mensch zwischen ihren Fingern –, ist sie sich, weshalb auch immer, nicht mehr sicher, dass das Urteil über den Mann, der ihr gegenübersteht, stimmt.
Nach dem Gespräch entledigt sich Roland Gasteiger mit bedächtigen Handgriffen seines Jankers, legt ihn sorgsam zusammengefaltet auf die Küchenbank und verlässt das Haus, um nach dem Vieh im Stall zu sehen. Prächtigen Milchkühen.
Elsa schaut ihm, kurz darüber nachsinnend, ob, und wenn ja, was in ihm verborgen sein könnte, hinterher und geht schließlich daran, mit seiner Tochter zu sprechen.
Helga Kratzer wohnt mit Mann und Kindern im ersten Stock des Bauernhauses. Sie ist schon aufs erste Hinschauen das Gegenteil des Vaters. Wenig ansehnlich. Eine Frau, die um ihr Aussehen weiß und sich, nach einer verzweifelten Anstrengung, das Möglichste herauszuholen, ergeben hat. Unter lieblos aufgetragener Schminke wirkt sie verlebt. Obwohl sie dafür mit Mitte 40 eigentlich zu jung ist. Nur ihre Augen glitzern und funkeln. Lassen trotzig eine Kraft erahnen, die sie sich, wie und wodurch auch immer, bewahrt hat.
»Mei Mutter war net einfach. Oft stand s’ mit’m Deifel auf einer Stufn. Falls S’ wissn, wos i moan. Trotz allem hamma s’ g’liabt. Jeder auf sei Art.«
»Die Liebe, von der Sie sprechen«, Elsa lässt alles Taktieren und kommt ohne Umwege zum Punkt, »bedeutet das nicht auch, sich darum zu kümmern, dass die Mutter lebenswichtige Medikamente nimmt? Und alles damit Verbundene einhält, damit es eben nicht zu einem Unterzucker kommt? Der in einem tragischen Tod endet. Einem Tod, der leicht abzuwenden gewesen wäre.«
»Meine Güte!« Helga Kratzers Blick fräst sich in Elsas. Scharf wie Munition. Sie hält ihre Beine fest zusammengepresst. Um sich unter Kontrolle zu halten und es nicht zu einem Ausbruch kommen zu lassen, vermutet Elsa, die jede noch so kleine Regung ihres Gegenübers beobachtet. »Sie ham leicht redn. Wissen ’S, was es hoaßt, auf am Hof wie unserm z’arbeiten? Milchkühe, dass d’ Hälfte g’nug wär. So vui Land, dass ma scho dagegen o’kämpfen möcht. Dazu d’ Buchhaltung und d’ Steuer. A Mo, zwoa Kinder. Oans kurz vor der Pubertät
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