Glutnester
oder scho mittendrin. Des andre b’hindert. Und d’ kranke Mutter, die immer was wollt.«
»Ihr Leben ist sicher kein Spaziergang, Frau Kratzer. Trotzdem stelle ich mir die Frage, wie es zu einem derart unnötigen Tod kommen konnte. Wo doch alle die Mutter liebten und sich um sie gekümmert haben? Das gilt es aufzuklären.«
»Was gibt’s da aufz’klären? Die Mutter is zuckerkrank g’wesen und daran is s’ g’storben. Sie is net ermordet wordn.«
»Vielleicht doch«, wirft Elsa plötzlich ein.
Helga Kratzer schlägt die Augen nieder. Als suche sie unten, am Boden, Ruhe vor ihr und Seelenfrieden. »Unsinn. Wie kommen S’ auf so wos?«, sagt sie, als sie wieder aufblickt. »Müssen S’ so wos b’haupten, damit Ihr Beruf a Rechtfertigung hot?« Helga Kratzer fährt sich mit der flachen Hand ungelenk übers Gesicht. Ihr Rouge, ein gelbstichig kreisrunder Fleck, verwischt sich bis zur Oberlippe. »Kommen S’ mir net so. Auf’m Land samma einfach, aber net bled.«
Als Elsa im Stall neben dem Haus Hubs, Helgas Mann, trifft, erfährt sie mehr. Er steht, wie für einen Film bereit, vor schwarz-weiß gescheckten Kühen. Mit der Mistgabel kämpfend. Mit seinen Aussagen kommt er direkt auf den Punkt. Gewollt oder zufällig. Berechnend oder irrigerweise.
»D’ Helga und i, mia täten an Hof am liabsten morgen verkaufen. Angebote hot’s geben. Oans zumindest. Entsprechend um’baut und durch Anbauten erweitert, würd ma locker acht bis zehn Eigentumswohnungen realisieren kenna. Vermutlich sogar mehr. Und des rentiert si.« Hubs lässt die Mistgabel sinken und schaut Elsa geradeheraus an. »Wissen ’S, i war Bauzeichner. I hab no immer gute Kontakte. D’ Luft hier is eins a, und Reit im Winkl liegt glei auf der Anhöh’. Des is als Schneeloch bekannt. Obwohl’s net allzu hoch liegt. Da boomt der Wintersport. Hauptsächlich ältere Semester kommen regelmäßig her. Pensionisten. Die ham Geid. Immer no. Die wolln im Winter langlaufen und im Frühjahr und Herbst wandern. Si wos gönna. Und die würden uns d’ Wohnungen abkaufen. Eine nach der andern. D’ Helga und i könnten in Ruhe leben. Und uns um d’ Gerry kümmern.«
»Ihre autistische Tochter?«, fragt Elsa nach.
Hubs nickt, während er wieder sorgsam das Heu verteilt. »Gerry braucht uns. Dringender denn je.«
»Aber Ihre Schwiegereltern hielten nichts von Ihren Plänen, nicht wahr?«, überlegt Elsa laut, während eine der Kühe einen dichten, stinkenden Urinstrahl ausstößt. Sie tritt einen Schritt beiseite. Ihre Schuhe sind längst im Morast versunken. In einer Mischung aus altem und neuem Heu, Urin, Kot und sonstigem undefinierbaren Material. Jetzt muss auch noch ihre Hose, die ordentlich Urinspritzer abbekommt, dran glauben.
»Freilich wollten die nichts davon wissen.« Hubs lacht mechanisch auf. Wie ein Motor, der sich überlegt, ob er anspringen soll, und es dann auch tut. »Auf ewig unglücklich sei«, erklärt er frei heraus und schüttelt den Kopf dabei. »Die wollten si lieber weiter abrackern. Bis zum Umfoin. Anstatt a oanzig’s Mal an Rahm des finanziellen Glücks abz’schöpfen. Weil der Hof hoit amoi do is, und ma ’s Schicksal seit Menschengedenken o’nimmt. Mit allen zum Himmel stinkenden Konsequenzen.«
»Klingt nach heftigen innerfamiliären Turbulenzen.«
»Klingt nach jahrelangen zermürbenden Reibereien, die mir d’ ersten grauen Haar’ b’schert ham.«
Elsa sieht Hubs an, dass er sich eher zur Arbeit aufrafft, als mit Freude dabei zu sein. Sie kann es ihm nicht verdenken. Entweder man war zu einem Leben wie diesem geboren, wuchs irgendwann hinein, oder ließ es bleiben. Dann hatte man ein Problem.
»Jetzt, wo Luise tot ist, haben Sie einen Gegner weniger.«
»Logisch, dass S’ so denkn. Mia aber net. I wollt lediglich ehrlich sei. Sie hätten eh rausg’funden, wie’s ausschaut. In unserer Familie. Da sog i liaber glei d’ Wahrheit.«
»Danke dafür. Sie ersparen mir eine Menge Arbeit.« Elsa überlegt, was Hubs dazu bewogen haben könnte, derart ehrlich zu sein. Vielleicht hat er etwas zu verbergen und versucht, indem er ihr entgegenkommt, den perfekten Schlupfwinkel zu finden? Erst mal Vertrauen schaffen und dann nach einer Strategie suchen. Das kennt Elsa gut. So was kommt häufig vor.
»Wann kenna mia d’ Mutter b’erdigen? Mei Frau drängt scho auf a anständig’s Begräbnis«, will Hubert Kratzer, der kaum Haare auf dem Kopf hat, dafür aber umso mehr auf der Brust, wissen. Er legt die
Weitere Kostenlose Bücher