Glutnester
werden, nimmt das Telefonat an und hört Bens alarmierte Stimme am Ohr. »Wieso hast du mir das mit dem Slip vor deiner Haustür verschwiegen?«, beschwert er sich.
»Das wollte ich dir noch mitteilen.« Elsa läuft rot an.
Eine Reaktion, über die sie sich im Stillen ärgert, vermutet Karl Degenwald, der alles hautnah mitbekommt. Nach einer körperlichen Erklärung wie dieser – dem Rotwerden – ist klar, wen Elsa am Apparat hat. »Ich geh dann mal!« Degenwald gönnt seiner Kölner Kollegin lediglich diesen knappen Satz als Verabschiedung. Noch dazu mit neidischem Unterton ausgesprochen. Er trollt sich. Mit einer kaum wahrnehmbaren Geste des Abschieds und vermutlich einem törichten Ausdruck im Gesicht verlässt er ihr Büro und schließt die Tür des Verbindungsraums ordentlich hinter sich. Wie so oft, wenn es etwas mit Elsa zu tun hat, fühlt Degenwald sich, als ginge er auf Krücken durchs Leben. Doch mit Krücken kam man nur langsam vorwärts. Kein passabler Eindruck, um etwas bei einer Frau auszurichten. Er musste das drängende Gefühl, nicht vollständig zu sein, vor allem wenn er mit Elsa zusammen war, loswerden. Die Frage war nur, wie stellte man das an?
»Vielleicht erinnerst du dich daran, du bist zu mir gekommen. Freiwillig, Elsa. Du hast mich im Flur geküsst, wie mich schon lange keine Frau mehr mit den Lippen vernascht hat. So, dass jeder Mann vergisst, dass er auch ein Gehirn zum Denken hat. Ausgiebigste Lust. Grandios, sag ich nur. Ich spür deine Lippen noch heute auf meinen. Aber das wolltest du auch.« Elsa hört Bens Stimme an ihrem Ohr und starrt gleichzeitig auf die geschlossene Tür, die Karl Degenwald hinterlassen hat. »Und nach solch einer Begegnung der speziellen Art hältst du es nicht mal für nötig, mir so was zu erzählen, wie das, was dir passiert ist?« Bens Stimme gleitet fast ins Beleidigte ab.
»Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun«, erwidert Elsa nüchtern. Sie bemüht sich, jeden Anflug von schlechtem Gewissen zu unterdrücken. Es gelingt ihr sogar. »Wir sind beide Profis, Ben! Wir können die Dinge fein säuberlich trennen.«
»Klar, die alte Leier. Bloß nicht Berufliches und Privates mischen. Macht doch nichts, wenn der andere in Gefahr gerät. Was geht das den Zweiten an?« Ben ist außer sich. Richtig wütend. Und verletzt dazu. »Wir sind keine Figuren aus einem Fernsehkrimi, Elsa. In langen Nächten von Dramaturgen und Autoren konstruiert. Wir sind aus Fleisch und Blut. Verletzlich. Dazu fähig, ehrlich besorgt zu sein.«
Alles, worüber Ben Fürnkreis spricht, muss Elsa unterschreiben. Trotzdem will sie nichts davon hören. Einen Blitz gegenseitigen Kümmerns hat sie gerade noch unterdrückt. Ein unbedeutender Gedanke, eingeklemmt zwischen die Stunden dieses Tages.
Als Kusspartner, an jenem Abend, als sie einen Moment wieder etwas Lebendiges in sich spürte, war Ben ihr willkommen. Als Wachhund und jemand, der Ansprüche stellt, ist er ihr lästig. So, wie er sich gerade gebärdet, hat sie weder Verlangen noch Verwendung für ihn. Sie will frei sein. Plötzlich wird ihr bewusst, wie gut sich der Satz anfühlt. Frei sein. Keine Rechenschaft ablegen müssen. Frei für ein Glück, das irgendwann in ihr Leben tritt. Wenn sie reif dafür ist. Willig, sich ganz zu verschenken.
»Ben, mach keine große Sache draus. Sag mir lieber, ob ihr schon was rausgefunden habt«, versucht Elsa abzulenken. Sie fühlt, dass sie dabei ist, eine Schliere auf dem Lebensfenster von Ben Fürnkreis zu hinterlassen. Eine Schliere, die er, wenn er nur will und sich ein bisschen Mühe gibt, rasch wieder entfernen kann. Das beruhigt Elsa. Bens Worte waren vorgerückt wie eine gut bewaffnete Armee. Schweres Geschütz. Hier bin ich, Ben Fürnkreis. Da bist du, Elsa Wegener. Wir haben einander geküsst. Jetzt gehören wir, so will ich es und du musst es auch wollen, zusammen. Aber sie will nicht. Sie mag Ben. Aber sie will ihn nicht als festen Partner. Elsa spürt, wie eine neue Befangenheit in ihr Platz nimmt. Die bis dahin stabile Beziehung zu Ben wird mit einem Mal wackelig wie ein angesägter Stuhl. Sinnvoll war ihr allein das Gefühl an jenem Abend erschienen, als sie Ben spontan und ohne Vorwarnung geküsst hatte. Nicht die Analyse und vor allem nicht die Folge desselben. Einige Küsse, dieser Plan bot ihr einerseits genügend Rückhalt, um ihn zu wagen, und ließ andererseits ein weites Feld vieler Möglichkeiten zu. Ben war jung. Sie hatte angenommen, er nehme das Ganze als
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