Glutnester
Verzögerung durch den Verbindungsraum auf sie zukommen. Kaum in ihrem Zimmer, nimmt Degenwald ihr die Jacke ab, will sie an die Garderobe hängen, zögert, riecht daran und verzieht angewidert das Gesicht.
»Die riecht vielleicht ein bisschen streng«, meint Elsa zu spät warnend.
»Milde ausgedrückt«, findet Degenwald und schüttelt den Kopf. »Die stinkt zum Himmel, um ehrlich zu sein.« Er betrachtet Elsa ausgiebig und schüttelt erneut den Kopf. »Sind Sie in einen Misthaufen gefallen?«
»Ist ’ne lange Geschichte. Nachfragen lohnt nicht. Sagen Sie lieber, ob’s was Neues gibt!«
»Eindeutig ja«, freut Degenwald sich, hängt die Jacke schließlich auf und kommt näher.
»Bei mir auch!«, entgegnet Elsa und macht ein ebenso zufriedenes Gesicht wie ihr Kollege. »Ich bin eventuell auf etwas gestoßen.«
»Lassen Sie mich damit beginnen, dass Veronika Steffels Sohn seit heute einen Namen hat«, drängelt Degenwald sich vor.
Die vergangenen letzten Monate hat sie mehr mit ihm gerauft, als sich mit ihm verstanden. Eine heikle Zeit, die sich langsam erschöpft, stellt Elsa zufrieden fest. Sie unterdrückt ein lästiges inneres Aufmucken. Mehr Gewohnheit als tatsächlich empfundenes Gefühl. Routine, seit sie in Bayern lebt und sich an die Anfangsschwierigkeiten mit Degenwald und den stets folgenden heiklen Disputen gewöhnt hat. »Fantastisch«, freut sie sich und staunt über dieses Positivum. »Und der lautet?« Elsa ist plötzlich ehrlich gespannt darauf, was Degenwald gleich offenbaren wird.
»Was Sie jetzt hören, wird Sie wahrscheinlich wundern. Er heißt Gerd Speckbacher.«
»Was sagen Sie?« Elsa kann es nicht fassen und schaut auf.
»Ich war genauso verwundert. Immerhin haben Sie den Namen zum ersten Mal in den Mund genommen.« Degenwald hebt kurz die Arme und fuchtelt damit herum, als müsse er die Luft zwischen ihnen – aufgeladene selbstverständlich – verteilen. »Wir laden Speckbacher umgehend vor. Meiner Ansicht nach hat er ein Motiv. Zumindest, wenn stimmt, was ich durch die Adoptionsstelle erfahren durfte, mit der ich das zweifelhafte Vergnügen des Telefonierens hatte.«
»Gut, laden wir ihn vor«, stimmt Elsa zu. »Helga Kratzer müssen wir uns ebenfalls näher anschauen. Verkneifen Sie sich ein Lachen, aber sie nimmt ebenfalls an, Veronika Steffel sei ihre Mutter gewesen.«
»Das Leben stiehlt einem wirklich nichts. Bis auf die Ruhe, wenn man sie am dringendsten nötig hat«, wirft Degenwald ein. »Wie kommt die Helga bitte schön auf diesen hirnrissigen Gedanken?«
Elsa fängt einen verwunderten Blick ihres Kollegen ein. Sie erwidert ihn und zuckt mit den Schultern.
»Ich kenne sie nicht besonders gut, aber bisher kam sie mir immer halbwegs vernünftig vor. Und jetzt diese Gedankenkapriolen.« Degenwald kommt aus dem Kopfschütteln gar nicht mehr heraus.
»Es gibt eben immer wieder Geschichten, die man anfangs für unmöglich hielt. Trotzdem stellen sie sich schließlich mit dem realen Leben in eine Reihe und gelten als wahr.«
»Mag schon sein. Aber in dem Fall?« Degenwald hat sich – mit jeder Menge Skepsis im Gesicht – auf Elsas Schreibtischkante gesetzt. Einer seiner bevorzugten Sitzplätze. »Die Veronika und Helgas Mutter? Da ist nichts dran. Ist nur ein Gefühl von mir. Aber ein ziemlich starkes«, erklärt er mit verhaltener Ungeduld.
»Einem starken Gefühl von Hauptkommissar Karl Degenwald trauen?« Elsa scheucht ihren Kollegen vom Schreibtisch, um an einige Zettel, auf denen er sitzt, zu gelangen und etwas zu notieren. Er kommt ihrem Wunsch nach und lässt sich in einen der Lederimitatstühle ihr gegenüber fallen.
»Wenn Helga Kratzer überzeugt war, in Veronika ihrer Mutter gegenüberzustehen, dann war sie’s halt. In dem Zusammenhang kann es durchaus hochemotionale Momente gegeben haben. Solche, die zu einer Mordtat führen konnten. Egal, ob tatsächlich Mutter oder nicht«, denkt Elsa laut nach, während sie weiter auf einen Zettel notiert, was sie später erledigen muss.
Degenwald klopft sich mit Zeige-und Mittelfinger gegen seine Wange. »Dann hätte sie im Affekt gehandelt. Aus der Situation heraus. Was in unserem Fall allerdings nicht passiert ist. Die Art und Weise, wie Veronika Steffel gestorben ist, verlangt einige Vorlaufzeit. Gut überlegt, kalkuliert, nicht spontan ausagiert. Helga scheidet definitiv aus«, bleibt Degenwald hartnäckig.
Elsas Handy klingelt. Sie gibt Karl mit einer Geste zu verstehen, dass sie darüber noch sprechen
Weitere Kostenlose Bücher