Glutopfer. Thriller
das Gewicht der kurzen . 38 er in ihrer Neoprenlauftasche ausgesprochen tröstlich.
Er hat recht. Die Dunkelheit ihrer Umgebung rührt auch daher, dass dort etwas ist – etwas, das sich anfühlt wie Angst, Schmerz und Verlust.
»Ich muss wissen, wie es hier draußen möglichst genau zum mutmaßlichen Zeitpunkt des Todes aussah, sagt sie, aber ich kann morgen Nacht noch mal mit einem Deputy herkommen.«
Er lacht.
»Keiner von diesen fetten Typen kann so eine Strecke laufen.«
»Sie könnten normal gehen.«
Ihre Worte sind abgehackt, und die Sätze, die sie bilden, folgen dem Stakkato des Atems.
»Ich weiß nicht mal, ob sie dazu in der Lage wären. Lass uns weiterlaufen.«
Sie versucht, sich in der Bewegung auf den Tatort zu konzentrieren.
Warum hast du sie hierher gebracht? Was hat dieser Ort an sich? Wie hast du das alte Depot gefunden? Wie konntest du sie hierher bringen? Warum zündest du sie an und steigst dann auf den Hochstand und siehst zu? Warum nimmst du einen Teil von ihr mit rauf?
»Was meinst du, wie weit sind wir noch weg vom Depot?«
»Eine Meile vielleicht. Ungefähr. Ich frage mich, wie er das Opfer hier herbringen konnte. Warum wollte er das überhaupt? Es kann doch nicht sein, dass er bloß ungestört sein wollte.«
»Es ist von Bedeutung für ihn. Ich weiß nur nicht, warum.«
Das Zirpen der Grillen klingt zusammen mit anderen nächtlichen Geräuschen wie das Hin und Her einer Handsäge bei dem Versuch, Metall zu zerschneiden, und ist so laut, dass sie einander fast anschreien müssen.
»War in der Mordnacht Vollmond?«, fragt er.
»Fast, ja«, sagt sie. »Wahrscheinlich in etwa so hell wie jetzt.«
»Immer noch ziemlich dunkel.«
Sie laufen eine Weile schweigend weiter.
»Ist das unser erstes Date oder das zweite?«
»Hä?«
»Wir waren letzte Nacht lange zusammen«, sagt er, »aber wie ein Date kam es mir nicht vor.«
»Aber das hier schon? Nicht zu fassen, dass alles erst gestern passiert ist. Es kommt mir vor, als wäre es eine Woche her. Das war wohl so ungefähr der längste Tag meines Lebens.«
Sie ist lange genug bei der Polizei, war an genügend Fällen beteiligt und hat genügend weitere studiert, um zu wissen, dass sie es hier mit etwas Seltenem, Einzigartigem zu tun haben, mit etwas, das vielleicht in gewisser Weise noch nie da gewesen ist. Obwohl sie müde ist und der gestrige Tag lang war, ist sie auch froh, dass alles so schnell geht. Vielleicht kann sie ihn fassen, bevor er einen weiteren Menschen in Brand setzt – vielleicht.
»Und das hier ist auch kein Date.«
Er wendet sich zu ihr um und schaut sie mit hochgezogenen Augenbrauen an, obwohl er kaum glaubt, dass sie seinen Gesichtsausdruck sehen kann.
»Das war jetzt ein bisschen harsch«, sagt sie.
Er lacht.
»Ich wollte nicht –«
Sie bleibt abrupt stehen, als sie das Absperrband über den Gleisen sieht, das kleine Depot dahinter, und weiter oben den Hochstand in den Bäumen.
Er hört die beiden schon, bevor er sie sieht, schwerer Atem, Gesprächsfetzen, Laufschuhe auf Bahnschwellen, knirschender Schotter.
Soll ich wegrennen oder ganz still sein und hoffen, dass sie nicht zu mir raufklettern?
Wenn sie so nah sind, dass er sie hören kann, dann hören sie ihn wohl auch. Am besten dableiben. Hoffen, dass sie vorbeilaufen. Wenn nicht, wenn sie stehenbleiben und ihn entdecken, dann muss er sie verbrennen. Das will er nicht. Wer immer da ist, die Leute gehören nicht zu seinem Plan, aber er kann auch nicht zulassen, dass sie ihn durchkreuzen. Das darf niemand.
Als die Stimmen näher kommen, reckt er sich und blickt über den Rand des Hochstands, aber die Jogger – wer joggt bloß nachts hier draußen? – werden von den Zweigen einer kleinen Eiche verdeckt.
Er wartet. Noch ein paar Schritte, dann kann er sie sehen.
Als sie schließlich deutlich zu erkennen sind, stellt er fest, dass es Daniel und die Agentin sind. Nicht die. Die brauche ich noch – zumindest ihn. Es ist zu früh, um ihn zu opfern. Jetzt noch nicht. Daniel ist am ehesten in der Lage, ihn zu verstehen, seine Botschaft zu enthüllen und sie für all die anderen Schwachköpfe zu entziffern. Aber er kann sich von nichts in seiner Mission aufhalten lassen – nicht einmal von ihnen. Sein Meisterwerk zu vollenden, ohne dass jemand es deutet, ist erheblich besser, als es gar nicht fertigzustellen.
An ihrer Körpersprache kann er erkennen, dass sie nervös sind, er kann ihre Angst geradezu riechen – und noch etwas. Was ist das?
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