Glutopfer. Thriller
jedem Schritt mehr. Daniel kann Sam einholen, aber sie werden es beide nicht schaffen, den Mann einzuholen.
»Was machst du?«, fragt Sam, als Daniel neben ihr ist.
»Hier draußen hat man keinen Empfang.«
»Scheiße. Lauf zurück zu deinem Wagen und hol Unterstützung.«
»Das dauert zu lange. Ich lass dich hier draußen nicht allein.«
Nun achtet sie wieder auf die Gestalt, die rasch in der Ferne verschwindet.
»Warum läuft er nicht in den Wald?«, fragt Daniel.
»Hat wahrscheinlich ein bestimmtes Ziel. Oder er weiß, dass man im Wald schwer vorankommt und dass er uns auch so mühelos abhängen kann. Wo führen die Gleise hin?«
»Nirgendwohin, jetzt, wo es die Fabrik nicht mehr gibt«, sagt er. »Ich denke mal, sie enden an der Bucht, wo die Fabrik stand. Ein ganzes Stück davor führen sie noch über den Dead River.«
»Vielleicht will er nur bis zum Fluss«, sagt sie. »Vielleicht hat er ein Boot. Wie weit ist das?«
»Mehrere Meilen.«
»Oh.«
Sie rennen noch eine Weile weiter, doch die Entfernung zwischen ihnen und dem Mann, den sie verfolgen, vergrößert sich immer mehr.
»Schießt du nicht auf ihn?«, fragt er.
»Er ist viel zu weit weg für meine kleine .38er.«
»War nur ein Scherz. Wir wissen nicht mal, wer das ist.«
Sie rennt noch ein paar Meter und bleibt dann plötzlich stehen.
»Ich kann nicht mehr.«
»Wir würden ihn sowieso nicht einholen«, sagt er und bleibt neben ihr stehen.
Sam hält die kleine Pistole hoch, richtet sie auf den Himmel und feuert.
»Halt«, schreit sie. » FDLE .«
Kurz nach dem lauten Schuss sind Grillen und andere nächtliche Geräuschemacher still. Nur das bedrückende Heulen des Windes ist zu hören.
Der Mann bleibt nicht stehen, wird nicht langsamer und sieht sich auch nicht um.
Sam gibt noch einen Schuss ab und wiederholt ihre Warnung, doch wenig später ist der Mann schon nicht mehr zu sehen.
»Glaubst du, er war da, um den Mord noch mal zu durchleben?«, fragt Daniel.
Sie gehen die Gleise entlang, zurück in Richtung Depot, und Daniel blickt oft über die Schulter zurück.
Sam nickt.
»Es geht nur um Phantasie. Sie nehmen dem Opfer etwas weg, ein Souvenir, oder sie besuchen den Tatort noch mal. Kontakt mit dem Gegenstand oder Rückkehr an den Tatort heizt die Phantasie an.«
Er nickt.
»Was kannst du mir über Feuer und Religion erzählen?«, fragt sie.
»In nahezu jeder Mythologie gibt es einen Bericht darüber, wie die Menschheit das Feuer entdeckte – normalerweise, indem sie es den Göttern stahl. In der griechischen Sage stiehlt Prometheus es vom Berg Olymp.«
Als er sich wieder umsieht, schüttelt sie den Kopf.
»Unseretwegen kommt er nicht zurück. Er hätte uns am Hochstand töten können. Wir wussten nicht mal, dass er da war. Wir gehören nicht in sein Opferschema oder zu seinem Plan.«
Daniel weiß das, erinnert sie aber nicht daran.
»Feuer kommt in den Riten und Ritualen von praktisch jeder Religion in der Geschichte der Menschheit vor«, erklärt er dann, von großen Scheiterhaufen bis hin zu Kerzen. Das hat mit seiner Macht und seinem Geheimnis zu tun, mit der Art, wie es verzehrt, erschafft und zerstört und wie der Rauch hinauf zum Himmel steigt.«
»Ist er deswegen in der Mordnacht auf den Hochstand geklettert?«, fragt sie. »Um zuzusehen, wie der Rauch aufsteigt?«
»Wahrscheinlich. Vielleicht, um es mit den Augen Gottes zu sehen.«
»Wenn Feuer also überall vorkommt und wir wissen, dass er es in religiöser Weise benutzt, dann kann uns das keinen Hinweis darauf geben, welcher Religion er angehört?«
»An sich nicht, aber was er damit macht, welche Hinweise er hinterlässt, all das hilft uns sicher, es einzugrenzen. Ich komme immer wieder zur Frage der Identität zurück. Er nutzt das Feuer nicht nur rituell, sondern auch, um die Opfer auszulöschen.«
»Verbirgt er nur ihre Identität vor uns?«
»Das glaube ich nicht, aber nehmen wir es kurz an. Warum sollte das nötig sein?«
»Damit wir sie nicht identifizieren können.«
»Nein, damit wir ihn nicht identifizieren können. Vielleicht haben sie ja etwas an sich, das zu viel über ihn verrät.«
»Das leuchtet ein, aber was?«
»Lass mich nachdenken. Was hat er in den Hochstand geschnitzt?«
»Ich zeige dir ein Foto davon, sobald das jemand gesichert hat«, sagt sie, »aber es sah aus wie eine Leiche über einem Feuer in der Nähe von Gleisen, ein Priester in langem Gewand mit hohem Hut, Fackel und Buch, und ein Symbol wie ein Kreuz mit ein, zwei
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