Glutopfer. Thriller
gerät in Panik. Das ist zu früh. Sie ist nicht bereit. Schon gar nicht für etwas, das so real ist, so intensiv. Und wenn sie nur daran denkt, dass er sie nackt sieht, wird ihr übel.
»Also, worüber hast du nachgedacht, was musst du mir am Telefon erzählen?«
»Hm? Oh. Über Identität.«
»Ja?«
»Du weißt ja, Identität ist, was ein Wesen definierbar und wiedererkennbar macht, was es von anderen Wesen unterscheidet.«
»Okay.«
»In der Identitätsphilosophie geht es um die Frage, wodurch etwas gleich oder verschieden ist. Ich glaube, das spielt mit hinein, wenn er die Identität der Opfer zerstört.«
»Inwiefern? Hilf mir. Ich komme da nicht ganz mit. Hoffentlich passiert das nicht auch, wenn du mir von deinen sexy Gedanken erzählst – obwohl die hier auch durchaus sexy sind.«
»Ich habe es dir nicht besonders gut erklärt. Wahrscheinlich hätte ich meine Gedanken vor dem Anruf sortieren sollen. Ich war einfach zu aufgeregt.«
»Nein. Ich bin froh, dass du nicht gewartet hast. Du musst es nur idiotensicher verpacken.«
»Indem er die Opfer so gründlich verbrennt, löscht er Gleichheit und Verschiedenheit aus – zumindest in gewissem Sinn. Andererseits macht er sie alle gleich. Auf jeden Fall beraubt er sie dessen, was sie von uns oder von anderen unterscheidet, und vielleicht hilft uns das, seine Motive aufzudecken.«
»Inwiefern? Ich verstehe das immer noch nicht.«
»Wer lässt sich am besten, also am identifizierbarsten von uns unterscheiden?«
»Der uns am unähnlichsten ist?«
»Ja, aber es gibt sichtbare und unsichtbare Unterschiede – ein homosexueller Mensch unterscheidet sich von einem heterosexuellen Menschen, was sich aber durch Äußerlichkeiten nicht unbedingt identifizieren lässt.«
»Hä?«
»Was sind sichtbare Unterschiede?«
»Tja … am offensichtlichsten wäre die Hautfarbe.«
»Genau.«
»Du denkst, die Morde sind rassistisch motiviert?«
»Ich denke gar nichts. Ich denke nach. Das ist ein Prozess. Natürlich raubt er ihnen alles andere auch, aber ich denke, dieser Diebstahl der Identität steht irgendwie im Zentrum.«
»Wolltet ihr euch nicht für Rabbi Gold fertig machen?«, sagt Daniel.
Alle vier, Ben, Brian, Joel und Esther, haben sich hinter ihm versammelt und sehen sich die Bilder von den Schnitzereien an.
Als er nach dem Telefonat mit Sam wieder hereingekommen war, hatten sie am Pessach-Projekt gearbeitet, aber rasch damit aufgehört, um ihm zuzusehen.
»Gold-Schmold«, sagt Joel.
»Wir müssen wirklich zurück an die Arbeit«, sagt Ben. »Nur noch ein paar Minuten.«
Die kunstvollen Schnitzereien zeigen eine Figur mit langem Gewand, die einen Hut trägt und eine Fackel und ein Buch hält, und daneben ein großes Feuer, dessen Flammen gerade einen Körper erreichen, der ausgetreckt darüberliegt. In der Nähe des Feuers erkennt man ein Kreuz mit zwei zusätzlichen Balken und ein Eisenbahngleis.
»Ich dürfte euch dieses Zeug wahrscheinlich gar nicht zeigen«, sagt Daniel. »Das sind Beweismittel der Polizei.«
»Wenn das ein Problem ist, könnten wir ja auch mit jemand aus dem Ermittlerteam schlafen«, sagt Esther.
»Hey, ich bin so eine Art Experte auf meinem Gebiet und diene der Sondereinheit als Berater«, sagt Daniel. »Ich habe der Dame nicht mal die Hand gehalten.«
»Okay, Mr Experte«, sagt Joel. »Erleuchte uns.«
Daniel lächelt.
»Nach meiner Expertenmeinung ist das da ein Eisenbahngleis, das ist ein Feuer, das darüber ist ein Körper, und das da ist eine Priesterfigur.«
»Wow«, sagt Joel. »Du bist echt gut. Man fühlt sich ganz klein, wenn man so einen Meister bei der Arbeit sieht.«
»Mal im Ernst«, sagt Esther. »Was ist das für ein Priester, und was bedeutet das Symbol da?«
»Die Figur könnte aus allen möglichen Religionen stammen.«
»Für mich sieht er katholisch aus«, sagt Brian.
»Wie ein Papst oder Kardinal oder so«, sagt Ben.
»Könnte sein, aber viele Geistliche tragen lange Gewänder und Hüte.«
»Und das Symbol?«, fragt Esther.
Es ist leicht gekippt und sieht wie eine Sieben mit Querbalken aus.
»Ich glaube, das ist irgendein Kreuz«, sagt Daniel.
»Also, das ist einfach gespenstisch«, sagt Joel. »Wie hast du das nur gemacht?«
»Ich weiß allerdings nicht so recht, was für eins«, fährt Daniel fort, ohne auf Joel einzugehen. »Es gibt verschiedene Möglichkeiten – und seht ihr die kleinen Kratzer da?«
Er klickt die Stelle, die er meint, mit dem kleinen Vergrößerungsglas an, damit
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