Glutopfer. Thriller
verschwenden.
Er öffnet die rechte Tür, zieht seine Waffe, nimmt die Taschenlampe zur Hand und leuchtet damit in den dunklen Korridor hinein. Fast am Ende befinden sich zwei Türen, auf jeder Seite eine. Alle beide und eine weitere ganz hinten stehen offen – so sieht es zumindest aus.
»Pine County Sheriff. Ist jemand da?«
Keine Antwort.
»River? Bist du da?«
Er geht den Korridor entlang, während der Lauf seiner Waffe dem Lichtstrahl folgt. Ab und zu blickt er über die Schulter zurück und bereut, dass er die Tür nicht hinter sich zugemacht hat.
Der Korridor ist feucht. Irgendwo ist das Gebäude offenbar undicht.
Als er ein Stück über die Mitte des Korridors hinausgegangen ist, riecht er ihn – diesen Geruch, der wie kein anderer ist.
Tod.
Und als der Gestank in seine Nasenlöcher dringt, hört er auch schon die Fliegen.
Preacher beschließt, draußen auf Verstärkung zu warten, reißt das Funkgerät von seinem Gürtel und wendet sich eilig zum Gehen.
Als er sich umdreht, sieht er nur ein paar Schritte entfernt jemand, der mit einem langen, schmalen, an der Spitze blutverschmierten Balsamierwerkzeug aus rostfreiem Stahl auf ihn zustürzt.
Er lässt Funkgerät und Taschenlampe fallen, stützt mit der linken Hand die rechte am Kolben der Waffe und beginnt zu feuern.
Peng.
Peng.
Peng.
Er hört immer noch hastige Schritte näher kommen.
Peng.
Peng.
Der Strahl der gesenkten Taschenlampe fällt auf bloße, blutverkrustete Füße, ganz nah bei ihm.
Letzter Schuss.
Letzte Chance.
Peng.
Daniel wacht auf und ist deprimiert.
Später Nachmittag. Auf dem Sofa. Komplett bekleidet. Genau so, wie er nach seiner Rückkehr vom Driftwood umgesunken ist.
Er hat nicht genug geschlafen, ist sich aber darüber im klaren, dass das im Moment nicht zu ändern ist. Er kennt seinen Körper gut genug, um das zu wissen.
Angeschlagen. Geschwollene, brennende Augen. Pochender Kopf. Reizbar. Nicht auf der Höhe. Darunter der dumpfe, leere Schmerz der Depression.
Was hat er sich dabei gedacht? Warum hat er sich benommen wie ein Idiot? Warum hatte er so gottverdammt viel Angst?
Er will mit dem Rest des Tages gar nichts mehr anfangen, nur duschen, etwas essen und wieder ins Bett gehen, aber irgendetwas stört ihn, irgendetwas nagt am Rand seines Unterbewusstseins.
Er hatte es – und hat es dann wieder verloren. Was war es?
Wenn er so verdrießlich und übernächtigt ist, kann er anscheinend nur zäh und langsam denken, und die Gedanken an sich sind schwerfällig, plump.
Sein Handy klingelt.
Eigentlich will er den Anruf nicht annehmen, aber er kennt die angezeigte Nummer nicht und weiß, dass es sein muss.
»Du hast nicht zugelassen, dass ich meine Botschaft vollende«, sagt die digital entstellte Stimme.
Ihm fällt ein, dass Sam sein Telefon abhören lässt, und er begreift, dass ihr Gespräch Publikum hat.
»Das tut mir leid. Ich wollte nicht stören.«
»Glaubst du, du findest es heraus, mit dem, was du hast?«
»Ich arbeite daran.«
»Dann beeil dich. Du hast nicht viel Zeit.«
Daniel sagt nichts dazu, beide schweigen. Nach einer Weile glaubt Daniel, dass der Mann nicht mehr da ist, wartet aber sicherheitshalber ab. Die veränderte Stimme, mit der er sich meldet, ist an sich schon beunruhigend, doch dieses Schweigen belastet noch mehr.
»Hattest du Angst?«
»Ja«, sagt Daniel. »Wann?«
»Als du mich erblickt hast.«
»Große Angst.«
»Warum hast du ja gesagt, bevor du wusstest, wovon ich rede? Bist du mir gegenüber etwa gönnerhaft?«
Daniel zögert einen Moment.
»Gar nicht. Ich … ich meinte nur … Ich habe inzwischen fast immer Angst.«
»Oh, wie ehrlich von dir, aber lass dich davon nicht ablenken oder kontrollieren. Du brauchst Konzentration. Deute die Botschaft … Bald wirst du eine weitere erhalten.«
28
»Was ist heute Morgen passiert?«, fragt Sam.
Die Frage ist das Erste, was aus ihrem Mund kommt, als er ihr Büro betritt, und sie merkt, dass ihn das etwas befremdet, doch es kümmert sie nicht, weil sie so verletzt und wütend ist.
»Er hat wieder angerufen.«
»Dazu kommen wir gleich. Erzähl von heute Morgen.«
»Was meinst du? Willst du denn nicht wissen –«
»Gestern Abend warst du ein warmer, einfühlsamer, sensibler Typ – und heute Morgen bist du plötzlich ein ganz anderer. Du konntest gar nicht schnell genug verschwinden.«
»Ich dachte eben, du hast viel zu tun.«
Er ist nicht ehrlich. Er verhält sich genau wie damals, als sie ihn gefragt hat, warum
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