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Glutopfer. Thriller

Glutopfer. Thriller

Titel: Glutopfer. Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Lister
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manipulativ und seicht, es fehlen ihm Schuldgefühl, Reue und Empathie. In sozialer Hinsicht ist der Psychopath impulsiv, antisozial, kann sein Verhalten schlecht kontrollieren, weigert sich, Verantwortung zu übernehmen und verlangt nach Reizen.
    Während er liest, nimmt er am Rand seines Gesichtsfelds eine Bewegung wahr, reißt den Kopf herum und sucht den langen Gang nach dem ab, was seine Aufmerksamkeit erregt hat. Nichts. Kein Psychopath, der mit Brandbeschleuniger und Flamme auf ihn zustürmt.
    Sams Zimmer liegt am anderen Ende des Flurs, gleich an der Treppe. Weil der schwülheiße Korridor weder klimatisiert noch belüftet wird, stinkt er nach Körpergeruch mit einem Schuss Zigarettenrauch, der Teppich ist abgewetzt und voller Sand, die Fußleisten sind ramponiert, viele Glühbirnen fehlen – eine jämmerliche Umgebung für eine so beunruhigende nächtliche Lektüre.
    Psychopathen täuschen oft sogar Experten, denn sie können durchaus attraktiv und charmant, beliebt und bewundert sein. Doch unter der Maske geistiger Gesundheit sind sie nicht menschlich – zumindest nicht in irgendeinem grundlegenden Sinn. Diese Menschen kennen keine Beherrschung, sie besitzen hemmungslose innere Freiheit und empfinden keinerlei lästige Stiche von Schuld oder Gewissen.
    Psychopathen sind der Ansicht, dass die Regeln und Konventionen der Gesellschaft für sie nicht gelten. Regeln und Gesetze dieser Art sind unbequem und unvernünftig und behindern nur ihren Lebensstil. Psychopathen handeln eigennützig, sind impulsiv und betrügerisch und basteln sich ihre Regeln einfach selbst.
    Obwohl viele Kriminelle bestimmte Wesenszüge mit Psychopathen teilen, sind sie insofern anders, als sie Reue empfinden, sich für ihre Taten schuldig fühlen und sich in ihre Opfer hineinversetzen können.
    Die Verfassung von Psychopathen erspart ihnen derartiges Unbehagen. Sie sind oft zufrieden mit ihrem Leben und sehen keinen Grund, etwas zu verändern – auch nicht, wenn es die Möglichkeit dazu gibt.
    Weil Daniel immer wieder Phantomgestalten aus dem Augenwinkel sieht und allmählich zu nervös ist, um zu verstehen, was er da liest, klappt er das Buch zu, steht auf, reckt sich und unterdrückt ein Gähnen.
    Als er an die traumatisierte Sam denkt, so zerschlagen und verletzlich, überkommt ihn das Verlangen, sie festzuhalten, zu beruhigen, und gleichzeitig wird er so wütend, dass er das Leben eigenhändig aus Chabons narbenzerfressenem Körper würgen will.
    Doch mit dem Nachlassen der Wut kommt die Angst zurück, und er begreift, dass er den Chabons dieser Welt nicht gewachsen ist. Was würde er tun, wenn jetzt einer auftauchte – eins seiner Bücher nach ihm werfen? Er ist schwach, kraftlos, machtlos. Was soll der Quatsch? Sam kann sich selbst besser verteidigen, als er es könnte. Ihm machen schon Worte auf einer Buchseite und Hirngespinste auf einem leeren Korridor Angst. Ein echtes Monster, mit oder ohne Maske geistiger Gesundheit, würde ihn glatt zum Frühstück verspeisen.
    Und dann fängt es an.
    Es stürzt sich auf ihn, ein überwältigendes Raubtier, dessen wehrloses Opfer er ist. Plötzlich hat er Herzklopfen, starke Schmerzen in der Brust und bekommt keine Luft.
    Ein Adrenalinstoß lässt ihn zittern und beben, er schwitzt heftig bei schlagartig steigender Körpertemperatur.
    Er wird sterben. Jetzt sofort. Der Tod ist da, kommt ihn holen, und er kann nichts dagegen tun. Sam wird sterben, mit platzender Haut in der ungeheuren Hitze eines höllischen Feuers, und er hat nicht die Macht, es zu verhindern.
    Als er aufspringt und losrennen will, überfällt ihn extremer Schwindel. Er streckt den Arm aus, um sich an der Wand abzustützen, verliert aber jede Kontrolle über die Beine und fällt einfach um. Plötzlich erdrückt ihn eine unerträgliche Last, die ganze Welt stürzt über ihm zusammen.
    Lähmung setzt ein, er kann nicht einmal den Mund bewegen. Nicht schreien. Nicht um Hilfe rufen. Nichts tun, nur in das dämonische Gesicht des Mörders starren.
    Er kommt mich holen. Ich bin tot. Und dann reißt er die Tür ein und verbrennt Sam in ihrem Bett.
    Du hast den Verstand verloren. Es ist niemand da. Schau. Siehst du jemand? Es ist niemand da.
    Irgendwann hört die Attacke auf, Geist und Körper kommen wieder zu sich, kehren in ihren vorherigen Zustand zurück, doch er bleibt noch lange auf dem Boden liegen, verzagt, verletzt, verzweifelt.
    Nach einer praktisch schlaflosen Nacht nippt Preacher an einem Kaffee, den er nicht

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