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Glutopfer. Thriller

Glutopfer. Thriller

Titel: Glutopfer. Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Lister
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unter der Haut zu erkennen sind, ohne Hoden und Penis, ausgewählt für Sterilisationsexperimente, aufgereiht, um fotografiert zu werden, katalogisiert durch die Kameras von Auschwitz. Er sieht ein Grauen, das er nicht fassen kann, und begreift nicht, dass all das vor so kurzer Zeit geschehen ist.
    Weniger grauenhaft, aber ein ebensolches Emblem menschlicher Vergeudung und Tragödie sind die Bilder von zahllosen Kofferstapeln, von Schuhbergen, Gürtelhaufen, Kisten mit Schmuck – Wertsachen, die den Juden geraubt wurden, bevor sie in Viehwaggons ihre Reise in die Hölle antreten mussten. An all das erinnern ihn die Dinge, die dem Opfer im alten Eisenbahndepot genommen wurden.
    »Deine Theorie hat trotzdem eine Lücke«, sagt Ben.
    »Nur eine?«, fragt Daniel.
    »Nein, mehrere, aber eine große. Wenn dieser Kerl einen neuen Holocaust veranstaltet, wo nimmt er dann die Juden für seine Opferungen her?«
    »Ich weiß nicht genau«, sagt Daniel, »aber –«
    Er hält plötzlich inne, seine Augen weiten sich, und der Mund klappt auf.
    »Was ist denn?«, fragt Ben, dreht sich um und sieht die Storyboards in seinem Rücken.
    »Das Pessach-Projekt. Was, wenn er Leute umbringt, die in die Stadt kommen, um Teile davon zu drehen?«
    »Aber wir würden doch sicher erfahren, wenn sie nicht nach Hause kommen?«
    »Meinst du?«, fragt Daniel. »Gibt es eine Liste der Leute, die daran mitwirken, und Adressen und Telefonnummern? Wir rufen an und finden es heraus.«
    Deborah Schoen hatte sich immer für die letzte jüdisch-amerikanische Prinzessin gehalten, und nur zum Teil im Scherz. Eine Diva oder Primadonna ist sie vielleicht nicht gewesen, auch wenn ihr Vater sie oft Prima-Deborah genannt hat, aber sie hatte ein sorgenfreies, unbeschwertes Leben, doch selbst wenn es anders gewesen wäre – nichts hätte sie auf so etwas vorbereiten können. Nichts.
    Sie ist nackt und liegt auf einer harten, schmutzigen Ladefläche, vielleicht hinten in einem Pick-up oder Eisenbahnwaggon, zwischen drei Leichen in unterschiedlichen Stadien der Verwesung. Und sie ist am Verhungern – eine Redewendung, die sie oft benutzt hat, um einem leichten Hungergefühl Ausdruck zu verleihen, die nun aber buchstäblich zutrifft. Sie ist dehydriert und halb ohnmächtig vor Hitze, und in der Nähe riecht sie brennendes Fleisch.
    So sterbe ich jedenfalls nicht. Diese Befriedigung verschaffe ich dem kranken Arschloch auf keinen Fall.
    Wie jeder, der auch nur ab und zu Nachrichten, laufende Ereignisse und Massenmedien zur Kenntnis nimmt, hat Deborah Berichte über Serienmörder gesehen oder Filme, die mordende Psychopathen zeigen, wäre jedoch nie auf die Idee gekommen, Angst vor ihnen zu haben. Von ihrer Welt war so etwas viel zu weit entfernt. Die Opfer derartiger Monster sind armer weißer Abschaum und Nutten – und wahrscheinlich deren Verwandtschaft. Aber nicht sie, nicht die Leute, die sie kennt.
    Und nun ist sie doch das Opfer eines menschlichen Wesens, dem fehlt, was einen zum Menschen macht.
    Kann sein, dass ich sterbe, aber nicht so, wie er es will.
    Irgendwann wird er zurückkommen, die Tür aufschieben, um eine weitere Leiche hineinzuwerfen, und dann wird sie bereit sein.
    Du bleibst am Leben, und wenn er die Tür aufmacht, rennst du los. Du rennst, als hinge dein Leben davon ab.
    Sam tippt wütend Stans Nummer ein, mit jedem Hieb eines Fingers schießt Zorn aus ihr heraus.
    Wo bleibt meine Unterstützung, will sie ihn anschreien. Wo sind die gottverdammten Agenten, die du mir versprochen hast?
    Reg dich ab. Du willst doch nicht deinen Job verlieren.
    Im Augenblick schon.
    Tief durchatmen. Lass nicht zu, dass der Arsch dir die Zukunft versaut.
    Nach ein paar Ruftönen schaltet sich eine Aufnahme der inzwischen so verhassten Stimme ein und bittet sie, eine Nachricht zu hinterlassen.
    Langsam, ruhig und sehr kühl bringt sie ihn auf den neuesten Stand, berichtet, was gerade passiert ist, dankt ihm sarkastisch für die wertvolle Unterstützung durch Kennedy Todd Whitman und fragt, wo die versprochenen Agenten aus Tallahassee bleiben.
    Im Schneideraum läuft auf dem Monitor das Pessach-Projekt, während der Computerbildschirm daneben Namen, Adressen und Telefonnummern der Juden anzeigt, die daran mitwirken, weil sie selbst, ihre Eltern oder Großeltern wie durch ein Wunder überlebt haben.
    Die grauhaarige, gebeugte Frau auf dem Bildschirm erzählt gerade, wie ihr reicher Großvater viel Geld aufwandte, um seinen Sohn, ihren Vater, und dessen junge

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