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Glutopfer. Thriller

Glutopfer. Thriller

Titel: Glutopfer. Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Lister
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Ehefrau von Polen nach Amerika zu schicken, im August 1939 , Tage vor dem Einmarsch der Deutschen.
    »Ruf sie an«, sagt Daniel.
    »Sie lebt in New York«, sagt Ben. »Da ist es eine Stunde später. Sie ist eine ältere Dame. Wahrscheinlich hat sie ihre Zähne in ein Glas neben dem Bett gelegt und schläft tief und fest.«
    »Weck sie auf.«
    Ben schüttelt den Kopf, seufzt, nimmt dann aber das Telefon und tippt die Nummer ein.
    Ben drückt lange den Hörer ans Ohr und lauscht, ohne etwas zu sagen.
    »Siehst du«, sagt Daniel.
    »Mrs Hirshel? Hier ist Benjamin Greene … vom Pessach-Projekt … Ja, Ma’am, ich weiß. Tut mir leid. Ich habe nicht daran gedacht. Ja, Ma’am. Ich rufe Sie morgen wieder an.«
    »Scheiße«, sagt Daniel. »Ich war sicher, das ist es.«
    »Die Theorie ist gut. Wir sollten es noch bei ein paar anderen versuchen.«
    »Wirklich?«
    »Aber diesmal darfst du die alten Leute wecken.«
    Daniel probiert zwei weitere Nummern aus. Bei der ersten erreicht er einen Anrufbeantworter. Bei der zweiten meldet sich ein einsamer alter Mann, der sich außerordentlich über den Anruf freut und Daniel seine halbe Lebensgeschichte erzählt, bevor der sich verabschieden kann.
    »Hast du noch andere Theorien?«, fragt Ben. »Noch jemand, den wir heute Abend nerven können?«

49
    Daniel öffnet die Haustür und lächelt, weil Sam davorsteht, doch seine Freude schwindet schnell, als er ihren müden, bekümmerten Gesichtsausdruck sieht.
    »Alles okay?«
    »Sag mir, dass diese Welt kein grauenhafter Ort voller Monster ist.«
    »Komm rein«, sagt er, »dann zeige ich es dir.«
    »Colin ist heute gestorben.«
    »Was?«
    »Es kommt mir vor, als stünde die ganze Welt in Flammen.«
    »Ach Sam, es tut mir so leid.«
    Während sie ihm von ihrem Tag erzählt, hört er aufmerksam zu und wünscht sich, er hätte für sie da sein, sie beschützen, vor solchen Dingen bewahren können.
    Als sie mit der grauenhaften Geschichte fertig ist, hält er sie fest und versucht, ihr dadurch etwas Schmerz und Kummer zu nehmen. Obwohl sie schweigen, spürt er, dass etwas zwischen ihnen geschieht, dass aus Krise und Besorgnis Intimität erwächst. Vielleicht ist es viel zu früh, um so etwas zu sagen, und vielleicht ist das, was er empfindet, eher eine durch die Ermittlungsumstände intensivierte Verliebtheit, aber er kommt nicht dagegen an. Er ist verliebt in sie – unvernünftig, unendlich, unentrinnbar verliebt.
    Und während er sie so festhält, reagiert sein Körper unweigerlich darauf, dass er sie spürt.
    »Ich kann heute Nacht nicht«, sagt sie.
    Er nickt.
    »Das habe ich auch gar nicht erwartet. Aber gegen die Reaktion kann ich nichts machen. Die kommt automatisch.«
    »Das ist wunderbar«, erwidert sie. »Und schmeichelhaft. Ich bin nur total fertig.«
    »Natürlich.«
    »Darf ich trotzdem bleiben?«
    »Bleib für immer.«
    Deborah Schoen, die einstmalige jüdische Prinzessin, kann hören, dass sich vor der Tür etwas bewegt. Sie glaubt, dass es Nacht ist, obwohl sie das nicht sicher feststellen kann. Natürlich ist sie verwirrt und bildet sich Sachen ein, also kann sie ihrem Gefühl nicht trauen.
    Er denkt, wir sind alle tot. Deswegen macht er die Tür auf.
    Sie bleibt ganz still hinter der Tür liegen und versucht, ruhig zu atmen.
    Die Tür wird aufgeschoben, und während das Monster eine Leiche auf die Plattform hievt, rollt sie sich herum und fällt aus dem – was ist das? Ein Güterwagen – auf den Boden. Sie kriecht weiter, bis sie sich aufrappeln kann, und dann rennt sie los.
    Weil sie desorientiert und nicht sicher ist, wohin sie rennen soll, rennt sie einfach weiter.
    Es ist Nacht. Sie sieht mit Unkraut überwachsene Sand- und Schotterhaufen, rostende Maschinen, weiter hinten ein verfallenes Lagerhaus.
    Sie ist schwach und hat Hunger. Alles an ihr schmerzt, aber sie rennt um ihr Leben und weiß es.
    Sie stolpert. Fällt immer wieder. Schrammt sich die Knie auf. Läuft weiter über Schotter, Sand, Fels.
    Geschafft. Jetzt in den Wald.
    Äste schlagen nach ihrem nackten Körper, reißen ihre Haut auf, Steine und Stöcke stechen in ihre Füße, schneiden in weiches Fleisch, und sie fängt an zu weinen.
    Bleib nicht stehen, sagt sie sich. Lass nicht zu, dass er dich fängt. Du bist widerstandsfähiger, als du denkst. Du kannst es schaffen. Denk an Mom und Dad, an George. Denk an –
    Sie hört etwas.
    Sie wendet den Kopf, kann aber nichts erkennen. Erleichtert seufzt sie und dreht sich wieder um.
    Da steht er vor ihr,

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