Glutopfer. Thriller
hasste, so hassen sie uns, die wahren Söhne Jahwes.«
»Muss ich das wiederholen?«, fragt Daniel.
»Schon verstanden«, sagt sie.
»Ist in letzter Zeit jemand weggegangen?«, fragt sie. »Umgezogen oder kommt nicht mehr?«
Aaron Ben Aaron schüttelt den Kopf, sieht aber weiter Daniel an.
»Wir haben seit zwei Jahren kein Mitglied verloren.«
Und wahrscheinlich auch keins dazubekommen, denkt Daniel, sagt aber nichts.
»Wird irgendjemand vermisst, der Ihre Ansichten teilt oder mit Ihrer Sache sympathisiert?«
»Nicht, dass ich wüsste«, sagt er. »Jahwe sorgt für die Seinen.«
»Ich dachte wirklich, das könnte es sein«, sagt Daniel.
»Könnte es doch nach wie vor«, sagt sie. Ich rede mal mit den Jungs von der Jehovah Nation, die im Gefängnis von Pine County sitzen. Die lieben mich. Ich bin sicher, sie helfen uns gern.«
Als Sam vor dem Ladengeschäft der Witnesses of Yahweh wieder in ihrem am Bordstein geparkten Wagen sitzt, fühlt sie sich innerlich leer, geschlagen und mutlos, weil es keine Fortschritte gibt. In ihrer Begeisterung über den möglichen Durchbruch in dem Fall hatte sie Colin, Preacher, Steve und das, was Chabon ihr angetan hat, kurz vergessen, aber nun lastet alles wieder schwer auf ihr.
»Erledigst du das jetzt sofort?«, fragt er.
Sie schüttelt den Kopf.
»Zuerst muss ich Colin Dysons Witwe anrufen, dann noch mal meinen Boss. Und wenn ich dann noch einen Job habe – oder noch an dem Fall dran bin –, dann rede ich mit ihnen. Ich hatte gehofft, dass ich was habe, um meine vielen Fehlschläge wettzumachen.«
»Du hast keine –«
»Lieb von dir«, sagt sie. »Aber ich meine es ernst. Kann sein, dass ich nicht nur den Fall los bin. Vielleicht bin ich auch keine Agentin mehr.«
»Was kann ich tun?«
»Nichts«, sagt sie. »Obwohl, es gäbe da etwas.«
»Das wäre?«
»Sag mir, warum es auf der Welt so viel Antisemitismus gibt.«
»Das ist eine lange und komplexe Geschichte.«
»Erzähl mir die kurze, einfache Version.«
»Tja, Antisemitismus hat nicht nur einen Ursprung oder einen Grund, aber in den letzten zweitausend Jahren rührte ein großer Teil aus den Passionsgeschichten der Evangelien her – aus den Berichten über den Prozess gegen Jesus und seine Hinrichtung.«
»Das verstehe ich nicht.«
»So, wie sie geschrieben sind, wird vermittelt, dass ein römischer Statthalter Jesus für unschuldig erklärt und ihn freilassen will, doch ein jüdischer Mob erklärt ihn für schuldig und schreit nach seinem Blut.«
»Und das ist so nicht gewesen?«
»Die meisten Gelehrten sehen es anders. Rom, das Jesus als politischen Gefangenen hingerichtet hat, wurde später zum Zentrum des Christentums, einer ehemaligen jüdischen Sekte, spielte seinen Anteil an diesem Mord herunter und gab den Juden die Schuld. Man lässt die versammelten Juden nach seinem Blut schreien und sogar sagen, sein Blut komme über uns und unsere Kinder.
»So habe ich das noch nie gesehen«, sagt sie.
»Das Christentum begann als Bewegung innerhalb des Judentums«, erklärt er. »Es war eine Sekte unter vielen, so wie die Essener, die Pharisäer, die Sadduzäer, und alle wollten den Kampf um die Zukunft der jüdischen Religion gewinnen. Es war ein Konflikt zwischen Brüdern und Freunden, bis das Christentum zur nichtjüdischen Religion wurde, und dann wurde es wirklich gefährlich. Es ist viel komplizierter und verwickelter, aber zum Teil hat sich aus dem christlichen Antijudaismus der europäische Antisemitismus entwickelt, der dann zum Holocaust führte – und das war nur die westliche Welt. Die Konflikte im Osten sind noch eine ganz andere Geschichte.«
Sie nickt.
»Schwer zu ermessen, aber so habe ich zumindest einen historischen Rahmen für dieses kranke Phänomen.«
»Aber was dich und den Fall betrifft«, sagt er. »Was kann ich da noch tun?«
»Mir fällt wirklich nichts ein. Wenn doch, rufe ich dich an.«
Es kling abweisend, aber sie kann es nicht ändern. Im Augenblick hat sie sonst einfach nichts zu bieten.
»Okay«, sagt er, öffnet die Tür und steigt aus. »Ich komme irgendwie nach Hause.«
»Ich kann dich gern –«
»Kein Problem«, sagt er. »Tu jetzt, was du tun musst. Wer weiß? Vielleicht besuche ich ja einen Gottesdienst der Witnesses of Yahweh.«
Als Sam losfährt, weiß Daniel nicht recht, was er tun soll, also schlendert er zur Main Street, um die Ecke und in Richtung Café.
Was entgeht mir? Meine Theorien passen doch zu den Beweisen. Was mache ich falsch? Was
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