Glutopfer. Thriller
verlass dich drauf.«
»Er ist nicht da«, sagt Esther. »Ich habe überall nachgesehen, sogar auf der Toilette.«
»Wo kann er denn ohne sein Auto hin sein?«, fragt Daniel und versucht, nicht panisch zu werden. »Nach Hause? Irgendwo Frühstück holen?«
»Mal sehen«, sagt sie und holt ihr Handy hervor. »Er ist bestimmt nur kurz raus, um was zu besorgen, aber bei all den Morden, und jetzt, wo Rabbi Gold verschwunden ist … das macht mich fertig.«
Daniel beschließt, die Suche nach Ben Esther zu überlassen, und überlegt weiter, wie der Mörder seine Opfer auswählt. Er denkt an die Mordmethode, an Brandopfer, an die Verbindung zum Holocaust. An die Tatorte, an die Fotos und Bilder, die sich in sein Gehirn eingebrannt haben. An die Schnitzerei und das Symbol, daran, wo es platziert ist, an seine Bedeutung. Er ruft sich ins Gedächtnis, was er über Rabbi Gold weiß, über dessen Hintergrund, Persönlichkeit und politische Ansichten. Und während er über all das nachdenkt, gestattet er seinem Kopf, zufällige Verbindungen und Assoziationen herzustellen.
Esther sagt etwas, das er nicht mitbekommt.
»Wie bitte, was?«
»Er ist nicht zu Hause«, sagt sie. »Und sonst würde er nirgendwo zu Fuß hingehen. Das ist alles zu weit.«
»Ruf ihn auf dem Handy an«, sagt er.
»Tut mir leid«, sagt sie. »Ich hab solche Angst.«
»Schon gut«, sagt er. »Ich auch ein bisschen.«
»Das wollte ich jetzt nicht hören«, sagt sie.
Mit bebenden Händen und zitternden Fingern drückt sie ein paar Tasten und wartet kurz, bis irgendwo im Gebäude Bens Handy klingelt.
52
»Ich kann nicht nachsehen«, sagt Esther. »Mach du das.«
Daniel steht auf und folgt dem Klingelton aus dem Schneideraum heraus und den Flur entlang bis ins Eingangsfoyer.
In dem kleinen, gefliesten Bereich ist Ben offenbar nicht.
Der Klingelton ist noch einige Male zu hören, dann bricht er ab und wird durch ein regelmäßiges Piepsen ersetzt.
Daniel zieht den Keramiktopf aus seiner Ecke, sodass das künstliche Bäumchen darin bebt, aber dort ist das Handy nicht. Schließlich blickt er zu dem kleinen Sofa hinüber, das ganz in der Nähe steht, und sieht, dass das Handy seitlich darunter hervorlugt.
»Ist das …«, sagt Esther aus dem Flur.
»Das ist sein Telefon«, sagt Daniel, richtet sich auf und geht zu ihr hin.
»Vielleicht ist es ihm aus der Tasche gerutscht, als er auf der Couch saß«, sagt sie.
»Könnte sein, aber wir wissen beide, dass das nicht stimmt.«
Als Bens Handy wieder klingelt, zuckt Esther zusammen.
Daniel geht ein paar Schritte zur Seite und meldet sich.
»Das Feuer wird herabkommen, Daniel«, sagt die verfremdete Stimme. »Benjamin wird gerichtet werden. Wirst du da sein?«
»Wo?«
»Ich habe dir alles gesagt, was du wissen musst. Du hast bis Sonnenuntergang Zeit.«
»Ich habe Leute losgeschickt, die Ben suchen«, sagt Sam und weist mit dem Kopf auf den Monitor. »Du konzentrierst dich darauf.«
Sie ist gerade hereingekommen und hat Daniel und Esther am Schneidetisch angetroffen.
Daniel nickt.
»Brian und Joel sind auf dem Weg hierher«, sagt Esther. »Ich hatte sie vorhin schon angerufen, um zu fragen, ob sie was von Ben gehört haben, und beide wollen helfen.«
»Wir finden bestimmt etwas, das sie tun können«, sagt Sam.
Daniel starrt geradeaus, sieht aber nicht auf das, was der Monitor anzeigt.
»Was ist denn?«, fragt Sam.
»Ich bin gerade alles noch mal durchgegangen, und … fast hatte ich etwas gehabt, aber es ist weg.«
»Passiert dir in letzter Zeit öfter«, sagt sie lächelnd. »Das Hirn ist wohl aus der Übung.«
»Es ist in Zeiten wie diesen überaus wertvoll, wenn einem jemand Mut macht.«
Sie zieht eine Grimasse.
»Besprich es doch einfach mit mir. Wir können es rausfinden.«
»Ich dachte an das Nazisymbol in der Schnitzerei. Du weißt ja, zuerst dachte ich, es steht für den Priester, aber dann dachte ich, dass es für das Opfer steht, weil es gleich neben ihm eingeritzt ist.«
»Von den Witnesses of Yahweh oder der Jehovah Nation wird aber niemand vermisst«, sagt sie.
»Ich weiß.«
»Rabbi Gold allerdings schon.«
»Ich – das ist es ja«, sagt er. »Es müsste nach wie vor mit dem Opfer verbunden sein, nicht mit dem Priester.«
»Aber die Opfer sind Juden.«
»Rabbi Golds Vater war während des Holocaust ein Kapo.«
»Ein was?«
»Oh mein Gott«, sagt Esther.
»Ein was?«, fragt Sam noch einmal. »Was ist ein Kapo?«
»Ein Insasse eines Konzentrationslagers, der
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