Glutopfer. Thriller
während des Holocaust einen Arbeitstrupp angeführt hat«, sagt Daniel. Ein Jude, der für die Nazis gearbeitet hat. Sie galten als Verräter, waren oft grausam und brutal und haben manchmal auch gemordet. Einige wurden nach dem Krieg sogar vor Gericht gestellt.«
»Dann –«
»Bringt er die Nachkommen von Verrätern als Brandopfer dar«, sagt Daniel. »All jene, die seiner Ansicht nach hätten sterben müssen, aber nicht gestorben sind.«
»Und wenn sie gestorben wären, würden ihre Nachkommen jetzt nicht leben, also opfert er sie jetzt, richtig?«, fragt Sam.
Esther nickt.
»Er tötet Menschen, von denen er meint, dass sie nie hätten geboren werden sollen.«
»Esther, weißt du noch, wer für das Projekt interviewt wurde und Eltern oder Großeltern hatte, die Aufgaben für die Nazis übernommen haben?«, fragt er.
»Nicht alle, die wir interviewt haben, sind Holocaust-Überlebende«, sagt sie. »Bei vielen ist das der Fall, aber das Projekt erfasst generell Geschichten von Menschen, die wie durch ein Wunder überlebt haben. Rabbi Gold hat als Einziger erwähnt, dass ein Familienmitglied Kapo war, und das auch nur zögernd. Es war ihm sichtlich peinlich.«
»Andere, ähnliche Positionen waren die des Lagerältesten, Blockältesten oder Stubenältesten, und es gab Vorarbeiter«, sagt Daniel. »Hat jemand so was erwähnt?«
»Ja, durchaus«, sagt Esther. »Einige Male, aber eher kurz in einem Nebensatz.«
»Können Sie die Nummern der Leute raussuchen und sie anrufen?«, fragt Sam.
»Ja, die stehen hier«, sagt sie, schnappt sich das Telefon und tippt rasch eine Nummer aus dem Computer ein.
»Du bist genial«, sagt Sam.
»Wir würden kluge Kinder haben«, sagt er.
Inzwischen stehen sie auf dem Flur und warten, während Esther telefoniert.
Sam lächelt nachdenklich.
»Ja, stimmt. Vielleicht aber auch nicht, falls sie nach ihrer Mutter kommen.«
»Du weißt, dass das nicht –«
»Ich bin raus aus dem Fall. Morgen früh übernehmen zwei Agenten aus Tallahassee.«
»Bis dahin ist es vorbei. Wir haben nur Zeit bis Sonnenuntergang.«
»Kann es sein, dass Ben kein Opfer ist, sondern der Täter?«, fragt sie. »Vielleicht hat er dieses ganze Projekt nur initiiert, um solche Leute zu finden und zu bestrafen. Ich meine, wer sonst weiß so viel –«
Er schüttelt den Kopf.
»Ben ist es nicht. Es sollte mich viel mehr erschrecken, dass du das überhaupt für möglich hältst, aber ursprünglich dachtest du ja auch, dass ich es bin.«
»Wenn Ben es nicht ist, wer dann?«
»Jemand, der an dem Projekt beteiligt ist oder es kennt«, sagt er.
»Und wer wäre das?«
»Ich, Ben, Esther, Brian und Joel«, sagt er. »Die Leute, die interviewt wurden, die Sponsoren. Du müsstest Esther fragen, wer noch.«
»Wie kommt es, dass die Leute nicht vermisst gemeldet wurden?«
»Alle sind alt«, sagt er. »Leben wahrscheinlich allein, wie Rabbi Gold. Und so lange geht es auch noch nicht. Die Leute wohnen über das ganze Land verteilt und werden wahrscheinlich jetzt erst vermisst gemeldet. Muss jemand nicht mehr als achtundvierzig Stunden verschwunden sein?«
»Ja, aber es zieht sich doch schon etliche Tage, wenn nicht Wochen hin, wenn du auch an die Opfer denkst, mit denen er experimentiert hat«, sagt sie. »Es fällt mir schwer zu glauben, dass niemand –«
Esther erscheint im Türrahmen.
»Von den Leuten, bei denen ein Familienmitglied Aufgaben für die Nazis übernommen hat, gehen zwei nicht ans Telefon, und fünf wurden als vermisst gemeldet.«
»Dann reden wir von insgesamt sieben Personen?«, fragt Sam.
»Mit Rabbi Gold sind es acht«, sagt sie.
»Neun mit Ben«, denkt Daniel.
»Wissen Sie, ob von Bens Familie jemand –«
Esther schüttelt den Kopf.
»Er hat nie etwas dergleichen erwähnt.«
»Aber es muss doch irgendwoher kommen, dass er sich für dieses Thema interessiert«, sagt Sam.
Esther nickt.
»Warum haben nie Familienmitglieder oder Freunde der Vermissten hier angerufen und nachgeforscht?«, fragt Sam.
»Einige haben das durchaus getan«, sagt Esther. »Denen hat ein junger Mann hier versichert, dass sie ins Flugzeug gestiegen sind, dass hier alles bestens war, dass er aber die Behörden benachrichtigt.«
»Also, wer ist es?«, fragt Sam. »Joel oder Brian?«
»Keiner«, sagt Esther. »Ausgeschlossen, dass –«
»Mal sehen, wer von beiden nicht auftaucht«, sagt Daniel.
»Rufen Sie Joel noch mal an«, sagt Sam.
»Was ist los?«, fragt Brian.
Esther schüttelt den Kopf
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