Glutroter Mond
Oberarm. So etwas habe ich nie zuvor gesehen. Weshalb malt sie sich an? Ich bin so fasziniert davon, dass ich kaum mitbekomme, wie sie die Nadel vom Tablett nimmt. Erst jetzt irrt mein Blick zurück auf ihre Finger. Sie schält die Nadel aus einer durchsichtigen Plastikverpackung. An ihrem Ende befindet sich eine Art Schraubadapter, ich nehme an, um die Röhrchen zu befestigen. Sie sprüht etwas von der kalten Flüssigkeit auf meine Armbeuge und bittet mich eine Faust zu machen. Ich kann kaum noch verbergen, wie sehr ich zittere.
Sie sticht die Nadel in meinen Arm. Das geht so schnell, dass ich mich wundere, dass es kaum weh tut. Sie befüllt alle drei Röhrchen mit Blut. Gebannt starre ich auf ihre Finger, während sie das tut. Ich habe in meinem Leben noch nicht viel Blut gesehen, nur mein eigenes, wenn ich meine unpässlichen Tage habe. In den Röhrchen schwappt es dunkelrot.
Als die Ärztin fertig ist, klebt sie mir ein Pflaster auf die winzige Einstichstelle. Das war schon alles? Fast ärgere ich mich, weil ich Angst davor gehabt hatte. Carl wird mich auslachen, wenn ich heute Abend zurückkomme.
Die Ärztin schiebt ihre Ärmel wieder nach unten und verdeckt das Muster auf ihrem Arm. Dann bittet sie mich aufzustehen. Aus einer Schublade der Kommode nimmt sie ein Maßband. Ich werde komplett vermessen, danach noch gewogen. Ich muss mich in alle möglichen Richtungen drehen, während sie meinen Rücken abtastet. Währenddessen spricht sie kein Wort mit mir. Erst, als sie wieder auf ihrem Klemmbrett herumkritzelt, setzt sie dazu an, etwas zu sagen.
»Verlassen Sie den Raum bitte aus dieser Tür.« Sie deutet auf jene, durch die ich nicht hereingekommen bin. »Dahinter wartet jemand mit Frühstücksbrei und Wasser auf Sie, immerhin haben sie das gemeinsame Mahl verpasst. Menschen werden krank, wenn sie nicht regelmäßig essen.«
So, wie sie es sagt, klingt es keinesfalls freundlich. Eher so, als sei ich nur eine Maschine. Dennoch freue ich mich, dass ich nicht mit leerem Magen in meine Kommune zurückkehren muss.
»In wenigen Tagen werden Sie von uns hören.« Sie hebt den Blick und sieht mich an, als könne sie nicht fassen, dass ich immer noch hier bin. Ich habe den Eindruck, sie möchte mich schnellstmöglich loswerden. Gerne hätte ich ihr noch ein paar Fragen gestellt, aber das traue ich mich nicht. Schweigend verlasse ich den Untersuchungsraum.
***
»Und? Hast du ein gutes Gefühl?«
Ich zucke zusammen, weil Neal mich aus meinen Gedanken gerissen hat. Er lässt den Kopf hängen und sieht mich nicht an, während er mit mir spricht. Er sitzt links von mir. Wir haben uns die Schuhe ausgezogen und sitzen direkt auf der Kante der Straße am Wasser. Unsere Beine baumeln herunter, aber ich kann die Wasseroberfläche mit den Füßen nicht erreichen.
»Was meinst du?«, frage ich, obwohl ich ganz genau weiß, wovon er spricht. Ich versuche, es beiläufig klingen zu lassen.
»Na ob du glaubst, für tauglich befunden zu werden.« Er sieht mich immer noch nicht an. Seine Haare hängen wie ein Vorhang vor seinem Gesicht, während er auf seine Füße starrt, die vor und zurück schwingen.
»Woher soll ich das wissen? Die Ärztin hat überhaupt nicht mit mir gesprochen. Du musst es doch selbst wissen, du bist erst letztes Jahr bei der Untersuchung gewesen.«
Jetzt hebt Neal doch den Blick. Die Traurigkeit in seinen Augen versetzt mir einen Stich. Ich hätte nie gedacht, dass es ihn so sehr treffen würde, wenn ich einmal nicht mehr da bin. Mit einem Mal fühle ich mich befangen und seine Nähe ist mir unangenehm. Unsere Oberarme berühren sich, weil wir so dicht nebeneinander sitzen.
»Es ist jetzt schon zwei Tage her«, sagt er. Höre ich Hoffnung in seiner Stimme?
»Benachrichtigen sie einen auch, wenn man nicht genommen wird?«
Neal schüttelt den Kopf. »Nein. Ich habe nie wieder etwas von meinen Untersuchungsergebnissen gehört.«
Ich denke darüber nach, dass auch Suzie noch nicht Bescheid bekommen hat. Wenn wir beide nicht genommen werden, könnte ich besser damit umgehen. Andererseits ist es erst zwei Tage her. Ich weiß nicht, wie lange es dauert, Blut zu testen.
Ich hebe den Kopf und blicke geradeaus. Vor mir erstreckt sich eine weite Wasserfläche, die sich am Horizont in der flirrenden Energiebarriere verliert, die um unsere Stadt gespannt ist. Nur eine Brücke führt hindurch. In meinen Büchern steht, die Barriere schütze uns vor erneuten Virusepidemien. Mir ist es gleichgültig. Ich
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