Glutroter Mond
noch übrig zu sein.
Er streckt mir zum Gruß die Hand entgegen, eine von den sinnfreien menschlichen Gesten, die mir zuwider sind. Dennoch greife ich kurz nach seinen schwieligen Griffeln. Ich verspüre sogleich den Drang, mir meine Finger an der Hose abzuwischen, unterdrücke ihn jedoch.
»Hast du den Stoff?« Harrys blassblaue Augen zucken eigentümlich schnell hin und her, als könne er keinen Punkt fixieren. Ich rieche Alkohol in seinem Atem. Vermutlich den billigen selbstgebrannten Schnaps aus den Kartoffeln, die die freien Menschen von den Feldern der V23er stehlen. Eines muss man Harry lassen: Er weiß, wie man sich das Leben versüßt und seine Kontakte sind mannigfaltig. Ich halte es jedoch für gefährlich für einen Menschen, mit den Acrai Geschäfte zu machen. Er wird bald merken, weshalb.
»Nein, ich habe das
Euphoria
nicht bekommen.« Weshalb lange drum herum reden und sich mit dummen Floskeln à la
Wie geht's, wie steht's?
aufhalten. Habe ich ohnehin nie verstanden. In Harrys Augen blitzt zuerst Entsetzen auf, doch nur für einen kurzen Moment. Dann verziehen sich seine Mundwinkel zu einem schiefen Lächeln. Glaubt er etwa, ich scherze?
»Lass uns doch ins
Psy
gehen, dort können wir in Ruhe unsere Geschäfte abwickeln«, sagt er. Ich zucke nur die Achseln. Ich wüsste nicht, was es da abzuwickeln gibt. Ich habe die Drogen nicht. Basta. Dafür hat er hoffentlich das Benzin. Ich könnte ihm im Tausch nicht einmal die Batterien anbieten, für die ich das
Euphoria
zu bekommen gedacht hatte, denn meinen Mantel habe ich im
Cave
zurücklassen müssen. Schade drum.
Obwohl mich seine Gegenwart bereits zu nerven beginnt, folge ich ihm durch die knarrende morsche Tür ins
Psy
. Im Inneren ist es fast dunkel, durch die schmierigen Scheiben an der Rückwand fällt fahles Sonnenlicht. Harry steuert gezielt auf den Tresen zu. Doch anstatt sich auf einen der wenigen noch intakten Hocker zu setzen, geht er wie selbstverständlich um den Tresen herum und beginnt, in den Bergen von alten Kisten, zerfallenen Regalen und umgekippten Schränken zu wühlen. Ich nehme sein Verhalten schulterzuckend hin und setze mich auf einen Barhocker. Die paar Minuten habe ich jetzt auch noch. Heute werde ich ohnehin den Rückweg ins Quartier nicht mehr antreten, und mir steht auch nicht der Sinn danach, mich mit den beiden Menschen abzugeben, die im Motel auf meine Rückkehr warten und in diesem Moment vermutlich Rotz und Wasser heulen. Ich kann mir das Mädchen zu allzu gut dabei vorstellen.
Ach, Neal, was machen wir bloß? Wir sind verloren, bla bla, bla.
Oh Mann. Schon seit gestern scheint mich eine Pechsträhne zu verfolgen. Aber meine Sippe kann ich vielleicht zufrieden stellen, wenn ich frische Menschen mitbringe. Zumindest deren Zorn ziehe ich mir dann nicht zu.
Inzwischen scheint Harry fündig geworden zu sein. Er stellt eine Flasche, in der sich noch zwei Fingerbreit klare Flüssigkeit befindet sowie zwei dreckige Gläser auf den Tresen. Dann kommt er wieder nach vorne, zieht sich einen Hocker heran und setzt sich neben mich. Ich bin mir sicher, dass die Flasche nicht aus den alten Beständen den
Psy
stammt. Vermutlich hat Harry sie hier schon vor längerer Zeit deponiert, um sich seine Geschäftspartner gefällig zu machen. Bei mir wird er damit nicht landen können. Ich habe kein
Euphoria
. Das ist die Wahrheit und nicht etwa eine strategische Aussage, um den Preis nach oben zu schrauben.
Harry fährt sich mit der Hand durch das strähnige lichte Haar, das erste graue Strähnen aufweist. Vermutlich wird er alle Haare verloren haben, ehe er vollends ergraut ist. Schon jetzt schimmern große kahle Stellen durch seine dünnen Flusen. Kommt vermutlich von der Strahlung. Aber darauf weise ich ihn nicht hin.
»Nun, Cade. Wie verbleiben wir? Was willst du für das
Euphoria
? Wir haben zehn Gallonen Benzin vereinbart. Die befinden sich auf meinem Motorrad. Was kann ich dir sonst noch bieten?«
Hört er eigentlich schlecht? Ich habe das Scheißzeug nicht. Aber wie ich schon vermutet habe, hat er meine Aussage für eine Strategie gehalten. Mir entgeht nicht, dass Harry die ganze Zeit an seinem Hosenbund herumnestelt, in dem eine Pistole steckt. Wenn er es wagen sollte, auf mich zu schießen, habe ich ihm den Kopf abgerissen, noch ehe der Knall in seinem Gehirn angekommen ist. Meine Beretta steckt ebenfalls in meiner Hosentasche. Okay, ich weiß nicht, ob sie überhaupt noch funktioniert, und vermutlich würde ich ohnehin die
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