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Gnade

Gnade

Titel: Gnade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linn Ullmann
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bleiben wolle, immer, aber das hörte sie nicht. Vielleicht, weil es ihm nicht gelang, die Worte im Mund zu bilden und sie laut auszusprechen.
    Mai sagte: »Dieses Gespräch, Johan, hat damit angefangen, dass du mich um etwas gebeten hast. Und ich muss wissen, dass du ganz sicher weißt, worum du mich bittest, und dass du ganz sicher weißt, dass du es willst – falls und wenn die Zeit reif ist. Das ist eines der Dinge, über die wir reden müssen.«

    Johan sah sie an.
    Â»Und die Konsequenzen? Für dich, meine ich?«
    Â»Ich weiß nicht.«
    Mai löschte die Nachttischlampe. Sie lagen eine Weile im Dunkeln, ohne etwas zu sagen, lauschten dem Atem des anderen.
    Dann flüsterte Johan: »Mir ist lieber, wenn du zu mir sagst, dass du bei mir bleiben wirst, wenn es schwierig wird. Dass du meine Hand halten willst. Du hast es vorhin gesagt, und das hat mir gefallen. Ich will so gern, dass du es noch einmal wiederholst. Das andere ... dass du mir helfen sollst, wenn ... das war noch nicht ganz durchdacht, aber du hast es ernst genommen. Das hat mir Angst gemacht.«
    Johan lachte ein wenig.
    Â»Ich weiß nicht, was ich will, verstehst du? Ich weiß nicht, was mich erwartet, und ich weiß nicht, was ich will.«
    Sie drückte seine Hand. Er fuhr fort:
    Â»Doch, ich weiß es! Ich will hier neben dir liegen.«
    Â»Du sollst hier neben mir liegen.«
    Â»Nur das. Sonst nichts.«
    Â»Nur das.«
    Â»Können wir das andere vergessen, mir hat unser Gespräch nicht gefallen. Ich will einen Schritt nach dem anderen tun.«
    Â»Vergessen wir es.«
    Er atmete aus.

    Â»Gute Nacht, Mai.«
    Â»Gute Nacht, Johan.«
    Â 
    Zuerst kam das Licht. Weiß. Heiß. Und dann der Kopfschmerz. Johan wachte von den Kopfschmerzen auf. Oder vom Licht. Oder von beidem. Dem Kopfschmerz und dem Licht. Die Laken waren schweißnass. Von seinem Schweiß und von ihrem Schweiß. Die Faust hatte sich weiter in seinen Schädel gebohrt, dabei war es eigentlich gar keine Faust mehr. Es war eine Hand, die einen Hammer hielt. Es war eine Hand, die in seinem Kopf hämmerte. Ihn kaputthämmerte, dachte er. Hämmere, hämmere, hämmere, murmelte er. Nur zu. Mach nur weiter. Johan krabbelte aus dem Bett, ging ins Bad, erbrach sich ins Waschbecken und begegnete seinem Blick im Spiegel. Das Geschwür grinste ekelhaft rot. Er wusste, dass sie heute in die Stadt zurückkehren mussten. Es ging nicht. Weg zu sein. Das ging nicht. Er hatte es schon gestern begriffen. Der Unterschied war, dass es jetzt eilte.
    Er richtete sich auf und ging wieder ins Schlafzimmer zurück.
    Mai war aufgestanden, hatte das Licht angemacht und angefangen zu packen.
    Â»Ich nehme nur das Wichtigste mit«, sagte sie, ohne aufzusehen. »Ich komme zurück und packe in ein paar Tagen den Rest.«

    Â»Wir müssen wohl ganz bald fahren«, flüsterte er.
    Â»Ich weiß, Johan.«
    Sie sah zu ihm auf, versuchte, ruhig auszusehen, aber in ihrem Gesicht konnte er genau erkennen, was sie in seinem Gesicht sah.
    Â»Ist es so schlimm?«, flüsterte er.
    Â»Nein, nein«, sagte sie und wandte sich ab.
    Johan nahm ihre Hand und setzte sich auf die Bettkante. Sie setzte sich neben ihn. So blieben sie sitzen. Hand in Hand auf der Bettkante.
    Â»Ich will nicht, dass es mir so geht, Mai. Ich will nicht, dass es mir noch schlechter geht. Die Kopfschmerzen ... sie ... ich weiß nicht, warum mir der Kopf so wehtut.«
    Â»Wir werden es untersuchen lassen.«
    Â»Das, worüber wir gestern gesprochen haben ...«
    Â»Ja.«
    Â»Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist ... dass ich ein Gespräch, das ich selbst initiiert habe, nicht zu Ende führen konnte. Das ist wichtig für mich, verstehst du? Ich will, dass du mir hilfst, Mai. Ich will, dass du mir hilfst, wenn es so weit ist. Ich schaffe das nicht.«
    Johan begann zu schluchzen.
    Â»Hilf mir, Mai! Ich muss wissen, dass ich die Kontrolle habe! Es passiert einfach, es passiert! Verstehst du? Ich will ein wenig die Kontrolle haben! Versprich mir, dass du mir hilfst!«

    Â»Ich werde dir helfen!«
    Â»Ich will nicht gedemütigt werden.«
    Â»Du sollst nicht gedemütigt werden.«
    Â»Ich will die Kontrolle haben.«
    Â»Du sollst die Kontrolle haben.«
    Â»Und Würde?«
    Â»Und Würde.«
    Â»Hilfst du mir?«
    Â»Ich helfe dir.«
    Â»Versprichst du mir

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