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Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition)

Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition)

Titel: Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Unger
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Steuer. Er stieg aus, sein dunkler Regenmantel war bereits nass.
    »Mrs. Graves«, begrüßte er sie. Sein fester, autoritärer Ton verleitete Bethany dazu, sich sofort besser zu fühlen. »Ich muss Sie bitten, im Auto zu bleiben.«
    »Nein«, sagte sie, »das ist unmöglich.«
    »Jemand muss hier sein, falls sie aus dem Wald zurückkommen«, sagte Jones und legte ihr eine Hand auf den Arm.
    »Mr. Cooper …«
    »Henry und ich sind hier aufgewachsen«, unterbrach er sie, »wir kennen das Gelände. Ohne Sie kommen wir schneller voran.«
    Bethany wollte protestieren, aber Jones drängte sie zum Auto. Er ermahnte sie, das Handy nicht aus der Hand zu legen. Sie würden anrufen, sobald sie etwas gefunden hätten. »Verriegeln Sie die Türen. Falls sich Ihnen ein Fremder nähert, rufen Sie die Polizei und drücken auf die Hupe.«
    »Was soll das heißen?«, fragte Bethany. »Von wem sprechen Sie?«
    »Von Michael Holt.«
    Bethany atmete tief durch und fügte sich. Sie beobachtete Henry vom Auto aus. Er winkte ihr zu, um zu zeigen, dass alles in Ordnung sei. Dann verschwanden er und Jones zwischen den Bäumen. Die starken Windböen peitschten durch die Wipfel der Kiefern und pfiffen ums Auto. Bethany wünschte sich, sie wäre religiös. Dann könnte sie jetzt beten.
    Die Lichtung vor der Kapelle war leer. Der Wind hatte das Absperrband der Polizei weggeweht und um einen Baum gewickelt. Sie liefen herum, riefen die Namen der Jugendlichen. Der Wind antwortete mit einem Heulen. Henry stellte sich an Marlas Grab und starrte in die Grube hinunter. Der einsamste, kälteste Ort auf Erden. Jones tauchte neben ihm auf.
    »Der Rechtsmediziner hat bestätigt, dass es Marlas Knochen sind«, sagte Henry.
    »Ich habe es im Radio gehört«, sagte Jones. »Ich wünschte, ich hätte sie damals gefunden. Stattdessen hat sie all die Jahre hier draußen gelegen.«
    Diese Aussage überraschte Henry. Er drehte sich zu Jones um. Ihre Gesichter glänzten vom Regen, und der Wind zerrte an ihren Regenmänteln.
    »Wir waren befreundet«, sagte Henry. »Ich hätte wissen müssen, dass sie ihre Kinder nie verlassen würde. Aber ich habe ihr das Schlimmste zugetraut, so wie alle anderen.«
    Jones schwieg und wandte sich ab. Henry hielt ihn am Arm fest. Jones drehte sich wieder um.
    »Jones, ich war an jenem Abend bei den Holts«, sagte Henry. Er schlug die Augen nieder. Er fühlte sich, als hätte er zu lange die Luft angehalten und könne nun endlich wieder atmen. »Es tut mir so leid, dass ich dir und den anderen nie etwas erzählt habe. Ich war in sie verliebt.«
    Als Henry sich überwinden konnte, den Kopf zu heben, starrte Jones ihn an. Jones Cooper hatte einen kalten, stechenden Blick, der das Selbstbewusstsein der anderen ins Wanken brachte. Was sah er in Henry? Sicher einen Feigling. Einen Idioten. Henry richtete sich auf und schilderte, was er damals erlebt hatte.
    »Ich habe sie nie berührt, außer an jenem Abend, als ich sie getröstet habe. Sie hat mir erzählt, wie unglücklich sie war und dass es neben ihrem Mann noch jemanden gab. Michael kam nach Hause und hat uns erwischt. Es war sehr peinlich. Ich bin gegangen.«
    Henry holte tief Luft. »Ich dachte nicht … ich dachte nicht, dass sie in Gefahr wäre. Andernfalls wäre ich geblieben.«
    Jones schaute sich auf der Lichtung um, richtete den Lichtkegel der Taschenlampe auf die Bäume.
    »Warum jetzt?«, fragte er. »Warum erzählst du mir das jetzt?«
    Henry hatte tausend Antworten. Ich dachte, sie wäre mit einem anderen durchgebrannt. Hätte ich zugeben sollen, in eine Frau verliebt zu sein, die meine Liebe niemals erwidert hätte? Ich habe mich geschämt. Ich war wütend. Ich habe nicht geahnt, dass ihr etwas Schlimmes zugestoßen ist. Er murmelte etwas Unverständliches vor sich hin und schaffte es nicht, Jones in die Augen zu sehen.
    »Jetzt ist es auch egal.« Jones musste lauter sprechen, um den Wind zu übertönen.
    »Und damals wäre es nicht egal gewesen?«, fragte Henry. Er schrie beinahe. »Wärst du anders an den Fall herangegangen, wenn ich etwas gesagt hätte?«
    Jones wiegte den Kopf hin und her, um seine Nackenmuskeln zu lockern.
    »Vielleicht hätte ich hartnäckiger nachgefragt.«
    »Bei Michael? Oder bei Mack?«
    »Schwer zu sagen«, antwortete Jones und ging weiter.
    Henry lief hinterher.
    »Nach meiner Joggingrunde bin ich noch einmal hin. Macks Auto stand in der Einfahrt. Claudia Miller saß oben im Fenster und beobachtete mich. Sie muss alles gesehen haben.

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