Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition)
anzusehen.
»Falls Ihnen noch etwas zu Marla Holt einfällt …«, sagte er. Er beendete den Satz nicht, trat auf die Veranda hinaus und betrachtete den ungepflegten Garten. Er könnte ihr anbieten, das Laub zu harken. Es würde den Rasen ersticken. Außerdem war Eloise offensichtlich nicht in der Lage, Gartenarbeit zu verrichten.
»Ich habe das Gefühl, wir werden in Kontakt bleiben, Mr. Cooper.«
»Nennen Sie mich Jones«, sagte er.
»Auf Wiedersehen, Jones.«
Er wollte sich noch umdrehen und etwas über das Laub sagen, aber sie hatte die Tür bereits lautlos geschlossen.
DREIZEHN
D as Baby schlief, und ihr blieben noch exakt eine Stunde und dreißig Minuten, bevor sie Cammy vom Kindergarten abholen musste. Paula Carr wärmte in der Mikrowelle Teewasser auf und blieb vor dem Gerät stehen, um es vor dem Signalton abzuschalten. Sie nahm die Tasse, stieg über den Spielzeuglaster hinweg, den sie den ganzen Vormittag hatte wegräumen wollen, und ließ sich mit einem Seufzer aufs Sofa sinken.
Sie fand keine bessere Gelegenheit, um nachzudenken, durchzuatmen und sich einen Plan zurechtzulegen. Denn wie immer ging auch dieser Tag in einem hektischen Wirrwarr unter, alles drehte sich um die Versorgung der Kinder – Frühstück, stillen, zum Kindergarten fahren, einkaufen, stillen, Kuckuck spielen, aufräumen, stillen, Essen kochen, Cameron abholen, einen Imbiss zubereiten, Badewasser einlassen, Geschichten vorlesen und so weiter. Von sechs Uhr morgens bis halb acht am Abend herrschte der Wahnsinn. Sie bestand darauf, dass die Kleinen um die Zeit im Bett lagen. Andernfalls hätte sie aufgehört, als Mensch zu existieren. Ohne jene Atempause wäre sie niemals nur Paula, sondern immer nur Claires und Camerons Mutter, Kevins Frau, Coles Stiefmutter.
Kevin wusste nicht einmal, dass sie Cameron nach dem Kindergarten manchmal in den Hort gehen ließ. Sie bezahlte es von ihrem eigenen Geld, das sie auf einem geheimen Konto hortete. Während sie in den Garten hinausstarrte, bekam sie Gewissensbisse, und dann kam die alte Angst wieder hoch. Was, wenn er es herausbekam? Die Bäume warfen ihr Laub ab, der Himmel war von einem stumpfen Grau.
Aus irgendeinem Grund hatte sie damals nach der Hochzeit ihr Konto nicht gekündigt. Es war nicht viel Geld darauf gewesen, nicht einmal tausend Dollar. Sie hatte es immer auflösen wollen und es dann vergessen. Wirklich vergessen? Oder war ein Teil von ihr überzeugt, es sei von Vorteil, etwas Eigenes zu besitzen, auch wenn es noch so wenig war, von dem er nichts wusste?
Etwa achtzehn Monate nach der Hochzeit fing sie an, Geld auf das Konto einzuzahlen, das sie Weihnachten und zum Geburtstag von ihrer Mutter bekam, und kleinere Beträge, die sie vom Haushaltsgeld abzweigte. Vor wenigen Monaten war dann ihre Tante Janie gestorben. Janie wusste Bescheid. Besser als alle anderen wusste Janie, dass in Paulas Leben nicht alles in Ordnung war.
»Wie geht es dir, Liebes?«, fragte sie jede Woche am Telefon, »alles okay?«
»Natürlich, Janie. Sei nicht albern«, antwortete Paula stets. Denn sie wünschte sich von Herzen, alles möge in Ordnung sein. Nicht bloß in Ordnung, sondern perfekt. Die perfekte Ehe, perfekte Kinder, die perfekte Paula. Alles andere ertrug sie nicht. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, von den anderen bemitleidet und als gescheitert betrachtet zu werden. Freuten die Leute sich nicht insgeheim, wenn es einem ein bisschen schlechter ging als ihnen? Fühlten sie sich dann nicht ein bisschen überlegen, ein bisschen besser?
Überraschenderweise hatte Kevin es ihr gestattet, mit Claire und Cameron zu Janies Beerdigung zu fahren. Sie hatte damit gerechnet, dass er mitkommen oder sie zwingen würde, allein zu fahren und unverzüglich zurückzukommen. Und es hatte den Anschein gehabt, als dränge er sie geradezu zu fahren, mit den Kindern, übers verlängerte Wochenende, falls sie wolle. Erst viel später hatte sie begriffen, warum. Er hatte lächelnd in der Einfahrt gestanden und ihnen nachgewinkt, er war im Rückspiegel immer kleiner geworden. Das Baby fing zu weinen an.
»Warum weint sie immer?«, fragte Cammy und betrachtete seine kleine Schwester neugierig.
»Weil sie ein Baby ist«, antwortete Paula. »Sie kann sich nicht anders ausdrücken. Bald schläft sie ein.«
»Warum kommt Dad nicht mit?« Paula kannte den Ton. Cammy war müde und stand kurz vor einem Wutanfall. Er war weinerlich und empfindlich. Cammy fragte ständig nach seinem Dad, und das, obwohl
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