Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition)
beängstigend .
Seit fünf Jahren hatte sie nicht mehr außerhalb der eigenen vier Wände gearbeitet. Schon während der Schwangerschaften hatte Kevin sich geweigert, sie zu Kunden zu schicken; stattdessen sollte sie von zu Hause aus Büroarbeiten erledigen. Du brauchst Ruhe. Sie bezog immer noch ein Gehalt von der Firma, das direkt auf einem Konto landete, für das sie weder Schecks noch eine Karte besaß. Kevin teilte ihr Haushaltsgeld für sich und die Kinder zu.
Erst nach Janies Tod vor einem Jahr erlaubte Paula sich, ihr Leben ungeschönt zu betrachten. Aus einer gebildeten, erfolgreichen Frau mit sechsstelligem Gehalt war eine Hausfrau geworden, die keinen Zugriff auf das Familienkonto hatte und deren Telefonate mit der Mutter von Kevin belauscht wurden. Sie war zu einer Frau geworden, die vor Angst erstarrte, wenn sie am Abend das Garagentor aufspringen hörte. Sie lebte in ständiger Angst vor seinen Worten und seinen Strafen. Das Seltsamste war, dass er kaum je laut geworden und sie fast nie geschlagen hatte. Fast nie.
Ein Mal hatte sie sich ihm entgegengestellt: Als er ihr sagte, sie solle zukünftig nicht öfter als ein Mal pro Woche mit ihrer Mutter telefonieren. Sie hatte scheinbar nachgegeben, weil sie sich nicht vor den Kindern mit ihm streiten wollte. Und dann hatte sie seine Anweisung einfach ignoriert. Im Gegenteil, sie rief ihre Mutter noch öfter an. Am Tag, als er die Rechnung sah, war er erst nach Hause gekommen, als die Kinder schon schliefen. Er hatte die Telefonrechnung wortlos auf den Küchentresen gelegt und erinnerte sie daran, dass sie während des Studiums eine depressive Phase gehabt hatte. Sie war zur Therapie gegangen und hatte Medikamente genommen. Ganz zu Anfang hatte sie ihm gestanden, der Druck sei so groß gewesen, dass sie Selbstmordgedanken gehegt habe.
»Diese Art von Geisteskrankheit verschwindet nicht einfach so, Paula. Sie kann jederzeit wieder auftreten. Du bist eine Gefahr für dich selbst und die Kinder.«
Was wollte er damit sagen? Dass er ihre Vergangenheit gegen sie verwenden und ihr die Kinder wegnehmen würde? Oder hatte er etwas Schlimmeres vor? Bedrohte er sie? Bedrohte er Claire und Cameron? Der Augenblick war so surreal, dass sie sprachlos war vor Angst und Verwirrung. In jener Nacht schlief er im Arbeitszimmer, und am nächsten Morgen verschwand er ohne ein Wort. Warum war sie damals nicht abgehauen? Sie wusste selbst nicht, woran es lag – Angst, Verleugnung, Bequemlichkeit. Eine giftige Mischung aus allem.
Sie bat ihre Mutter, sie täglich anzurufen. Ihre Mutter tat ihr den Gefallen und fragte nicht, warum.
Sagte man nicht, ein in heißes Wasser geworfener Frosch versuche sofort, aus dem Topf zu springen? Während er, wenn man ihn in kaltes Wasser setzte und die Temperatur allmählich erhöhte, sich nicht wehrte und elend zugrunde ging? Aber Paula war noch nicht tot. Sie würde es irgendwie schaffen, sich und die Kinder aus dem Topf zu retten.
Sie hatte schon vor Coles Ankunft einen Plan. Einmal im Jahr traf Kevin sich mit seinen Geschäftspartnern in einem Golfhotel in Florida. Wenn er vier Tage später nach Hause kam, war er entweder euphorisiert oder zutiefst deprimiert, je nachdem, wie das Treffen verlaufen war, wie die Auftragslage für das kommende Jahr aussah, ob es Zulagen geben würde. Paula hatte geplant, mit den Kindern zu ihren Eltern zu fahren, sobald er aus dem Haus war. Sie würde ihnen alles erzählen, die ganze Wahrheit über den Mann, den sie geheiratet hatte. Und dann würde sie mit ihren Kindern weit, weit wegfahren und irgendwo von vorn beginnen und beten, dass er sie nie finden würde. Bei ihren Eltern konnte sie nicht bleiben. Es würde nicht funktionieren, er würde sie zurückholen. Bestenfalls kam es dann zu einem hässlichen Sorgerechtsstreit, aber Paula fürchtete sich vor dem, wozu Kevin fähig war, was er ihr, den Kindern, ja sogar ihren Eltern antun könnte. Sie konnte nichts mehr ausschließen.
Bis dahin waren es noch drei Wochen. Wenn sie es nicht schaffte, Coles Mutter ausfindig zu machen und ihn irgendwie aus dem Haus zu bekommen, wusste sie nicht weiter. Sie konnte Cole nicht zurücklassen, denn dann musste er Kevins Zorn über ihr Verschwinden ausbaden. Genauso wenig konnte sie Cole mitnehmen. Erstens war er nicht ihr Kind, und zweitens vergötterte er seinen Vater.
Aus diesem Grund hatte sie Kontakt zu Jones Cooper aufgenommen. Vielleicht würde er Coles Mutter finden. Paula könnte sie anrufen und bitten, Cole
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