Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition)
abzuholen. Falls irgendjemand auf der Welt wusste, wie Kevin tickte, war es diese Frau.
Am liebsten hätte Paula sich Jones Cooper an den Hals geworfen, alles gebeichtet und ihn um Hilfe angefleht. Er wirkte so stark, so herzensgut, er könnte sie beschützen. Aber das ging nicht. Sie durfte nicht riskieren, dass Dritte von ihrem Plan erfuhren und am Ende Kevin Wind davon bekam. In einer Kleinstadt wie The Hollows war ein Geheimnis nicht mehr sicher, hatte man einmal den Mund aufgemacht. Es wurde geklatscht, und alles verbreitete sich wie ein Lauffeuer.
Die Zeit lief. Paula wusste, dass die Firma kurz vor der Pleite stand und die Ausraster ihres Mannes immer schlimmer wurden. Sie hatte das Passwort für den Computer in seinem Arbeitszimmer erraten und sich eingeloggt, und was sie gesehen hatte, war schockierend. Kevin war nicht der Mann, für den sie ihn hielt. Vielleicht war er nie anders gewesen. Er hatte abartige Porno-Seiten besucht und sich über Waffen und Munition informiert. Er hatte sich über Kindbettdepression schlau gemacht. Paula erfuhr, dass sie bis über beide Ohren verschuldet waren. Und zum Schluss entdeckte sie, dass er mit einer anderen Frau in Mailkontakt stand. Er hatte eine Affäre. Die Mails quollen über vor Lügen über Paula, die angeblich die Kinder vernachlässigte, herumvögelte, psychisch labil war und Alkoholikerin. Paula erinnerte sich an die Horrorgeschichten über Coles Mutter, ihre Vorgängerin, die Kevin ihr früher erzählt hatte.
Letzte Woche hatte sie seinen Wagen waschen wollen. Während sie in der Warteschlange stand, las sie den Müll auf, der sich auf den Fußmatten angesammelt hatte. Sie wollte nicht, dass der Autowäscher dachte, sie sei eine Schlampe, die sich ausschließlich von Fastfood ernährte und die leeren Verpackungen einfach in den Fußraum schmiss. Dabei entdeckte sie einen schwarzen Beutel unter dem Beifahrersitz. Sie öffnete ihn und sah eine Plastikschatulle. Sie wusste, was darin war, noch bevor sie sie geöffnet hatte. Sie saß da, klappte den Deckel hoch und sah die Pistole. Es fühlte sich an, als hätte man alle Atemluft aus dem Innenraum des Autos abgesaugt.
Sie fuhr zusammen und knallte den Deckel zu, als der Angestellte an die Scheibe klopfte. Sie lächelte, bestellte eine Superwäsche und erkundigte sich, wie lange es dauerte. Als sie aus dem Auto stieg, hielt sie den Beutel in der Hand. Lächelnd betrat sie das Kassenhäuschen und bezahlte. Sie trat ans Fenster und schaute zu, wie das Auto eingeseift und abgewaschen, mit Heißwachs behandelt und poliert wurde. Sie wünschte sich eine Autowäsche für ihr ganzes Leben, ein Fließband, auf das sie sich legen könnte, um alles Hässliche und den ganzen Dreck von sich abzuwaschen. Woher hatte er die Pistole? Warum lagerte er sie im Auto? Sollte sie sie zurücklegen? Oder sie verschwinden lassen? Was würde er tun, wenn er erfuhr, dass sie die Waffe entsorgt hatte? Sie steckte in der Klemme und konnte alles nur falsch machen. Schließlich legte sie die Pistole unter den Beifahrersitz zurück und fuhr nach Hause. Warum hatte sie nicht das Weite gesucht, als er an jenem Montag bei der Arbeit war? Auch darauf wusste sie keine Antwort.
Am absurdesten fand sie den Gedanken, dass sie auf die Außenwelt wie eine ganz normale Familie wirken mussten. Wenn sie Cammy zum Kindergarten brachte oder ihn abholte, plauderte sie mit den anderen Müttern. Sie schrieb täglich auf Facebook, stellte Fotos von ihren Familienausflügen ein. Cammy auf seinem Kettcar, Claire, wie sie mit beiden Händen in ihrem Kartoffelbrei wühlt. Fakebook , der Ort, an dem die Leute sich darstellen konnten, wie sie gesehen werden wollten, wo sie präsentierten, was alle sehen sollten, wo alle dunklen und hässlichen Seiten des Lebens unterschlagen wurden. Oder machte nur Paula es so?
Die Nachbarn sahen nur, wie der attraktive Kevin am Morgen das Haus verließ und am Abend mit Tüten voller Lebensmittel heimkehrte und auf dem Weg den Briefkasten leerte. Samstags gingen sie aus. Sie machten sich schick und besuchten gute Restaurants oder Parties in der Nachbarschaft, manchmal fuhren sie sogar in die Stadt. An manchen dieser Abende sprach Kevin kein Wort, sondern starrte nur auf sein BlackBerry, während sie nervös plapperte wie eine einfältige Kuh. Auf den Parties benahm er sich kindisch und beschimpfte sie auf dem Heimweg, weil sie seiner Ansicht nach zu viel gegessen oder zu laut gelacht hatte oder ein zu enges Kleid trug. Wann sie
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