Gnade
nicht?«
»Nicht, wenn er gut ist«, gab Noah zu bedenken.
»Wir leben in einer kleinen Stadt. Ein Fremder würde auffallen.«
»Wirklich? Auch ein Mann, der beispielsweise in einem Auto mit dem Logo einer Kabelfirma herumfährt? Und was ist mit all den Auswärtigen, die zu dem Wettbewerb herkommen? Wenn sie Anglerkleidung tragen und ihre Ausrüstung mit sich herumschleppen, würden Sie sich dann über ihre Anwesenheit wundern?«
Michelle stand auf. »Ich verstehe, was Sie meinen, und ich weiß es zu schätzen, dass Sie sich der Sache annehmen. Aber ich glaube wirklich, dass es sich um einen einmaligen Zwischenfall gehandelt hat.«
»Und dieser Glaube basiert worauf?«, hakte Theo nach. »Oder ist es bloßes Wunschdenken?«
Sie ignorierte seinen Sarkasmus. »Wir sind hier in Bowen«, sagte sie. »Wenn jemand ein Problem mit mir hat, würde er es mir direkt sagen. Ich hatte genug Zeit, über alles nachzudenken. Als ich meine Praxis in dem verwüsteten Zustand vorfand, habe ich wahrscheinlich Gespenster gesehen. Ich habe einfach überreagiert. Ich darf dich daran erinnern«, fuhr sie eilig fort, als Theo Anstalten machte, sie zu unterbrechen, »dass nichts weiter passiert ist. Vielleicht willst du gern eine Verschwörung aufdecken, aber es gibt keine.« An Noah gewandt sagte sie: »Ich danke Ihnen trotzdem, dass Sie hergekommen sind.«
»Sie brauchen sich nicht zu bedanken«, gab Noah zurück. »Um ehrlich zu sein, ich habe auf eine Gegenleistung spekuliert. Theo hat sich einverstanden erklärt, nach dem Wettbewerb mit mir nach Biloxi zu fahren. Er wird dort an meiner Stelle einen Vortrag halten, und dafür wäre ich quer durchs ganze Land gegondelt. Ich muss die Fortbildung zwar zu Ende bringen, aber wenigstens muss ich keine Rede schreiben.«
»Wann müssen Sie denn zurück sein?«
»Am Montag.«
»Oh.« Michelle erhob sich rasch und ging scheinbar geschäftig zur Bar hinüber, ehe einer der beiden Männer ihre Enttäuschung bemerkte.
Noah blickte ihr nach. »Mann, Theo, sie hat echt Klasse! Da ich ein paar Tage hier bleibe, werde ich dir wahrscheinlich das Leben schwer machen. Ich hatte immer schon eine Schwäche für Rothaarige.«
»Du hast eine Schwäche für alles, was einen Rock trägt.«
»Das stimmt nicht. Erinnerst du dich an den Donovan-Fall? Patty Donovan hat immer Röcke getragen, und das hat mich überhaupt nicht angemacht.« Er zwinkerte.
Theo verdrehte die Augen. »Patty war ein Transvestit. Er hat niemanden angetörnt.«
»Er hatte tolle Beine, das muss man ihm lassen«, entgegnete Noah. »Sag mir nur eins: Was ist zwischen dir und Michelle schon gelaufen?«
»Nichts.«
»Eine Schande!«
»Du hast mir das Thema noch gar nicht genannt, über das ich einen Vortrag halten soll«, sagte Theo in der Hoffnung, Noah ablenken zu können. »Worum soll’s denn gehen?«
Noah grinste. »Um Aggressionsbewältigung.«
Theo lachte. »Hat sich dein Boss damit einen Scherz erlaubt?«
»Bestimmt«, sagte Noah. »Du kennst ja Morganstern. Er hat einen äußerst eigenartigen Humor. Er hat mir die Leitung des Fortbildungsprogramms nur aufgebrummt, um mich zu bestrafen.«
»Was hast du denn verbrochen?«
»Das willst du bestimmt gar nicht wissen.« Noah machte eine Pause, dann setzte er hinzu: »Morganstern könnte einen Mann wie dich gut gebrauchen.«
»Ah, endlich kommen deine wahren Beweggründe ans Licht. Hat Pete mit dir über mich gesprochen?«
Noah zuckte mit den Schultern. »Möglicherweise hat er deinen Namen erwähnt …«
»Sag ihm, dass ich nicht interessiert bin.«
»Er schätzt deinen scharfen Verstand.«
»Ich bin nicht interessiert«, wiederholte Theo.
»Du bist also glücklich mit dem, was du machst?«
Theo schüttelte den Kopf. »Mit diesem Thema bin ich endgültig durch«, sagte er. »Ich gehe noch einmal ins Büro, knüpfe die losen Enden zusammen und reiche meine Kündigung ein.«
Noah war baff. »Du machst Witze, oder?«
»Nein, das ist kein Witz. Es ist Zeit – allerhöchste Zeit«, betonte er.
»Was hast du denn vor?«
»Ich habe da schon ein paar Ideen.«
»Und eine davon hat rote Haare?«
Theo schwieg. Bevor Noah weiterbohren konnte, trat ein Mann an ihren Tisch und fragte Theo, ob er mit ihm eine juristische Angelegenheit besprechen könne.
»Natürlich«, sagte Theo. »Setzen wir uns an die Bar!«
Er erhob sich, ließ die Schultern kreisen, um seine Verspannungen loszuwerden, und ging dann hinter die Bar, um sich ein Bier zu zapfen. »Was kann ich für Sie
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