Gnade
Flinte ab. »Mit dieser Donnerbüchse könnte man ein Nashorn auf hundert Meter Entfernung töten.«
»Oder einen Alligator«, bemerkte sie mit einem Zwinkern.
»Ach, gab es in letzter Zeit viele Alligatoren, die eine Schlägerei angezettelt haben?«
»Nein, natürlich nicht, aber …«
»Du weißt, dass dein Dad dafür bestraft würde, oder?«
Sie verschränkte die Arme. »Wir in Bowen regeln die Dinge eben anders.«
»Soweit ich informiert bin, gehört Bowen immer noch zu den Vereinigten Staaten, und das heißt, dass ihr deren Gesetze befolgen müsst. Wie ist denn dein Bruder an die Waffe gekommen?«
»Wage es bloß nicht, meinem Bruder Schwierigkeiten zu machen, Theo! Er ist ein freundlicher, sanftmütiger und einfühlsamer Mensch, und ich lasse nicht zu …«
Theo war nicht in der Stimmung, sich eine flammende Lobrede auf Michelles Bruder anzuhören. »Woher hat er sie?«, fiel er ihr ins Wort.
»Ich weiß es nicht. Er hat sie selbst hergestellt, und wenn du Daddy diese hier wegnimmst, wird John Paul ihm früher oder später eine andere geben.«
Theos Augenlid zuckte. Michelle war klar, dass sie ihn gegen sich aufbrachte, aber im Moment störte sie das herzlich wenig. Was sollte ihr Vater tun, wenn im Schwan die Hölle losbrach? Die Hände ringen, während die Jungs seine Bar auseinander nahmen? Außerdem würde ihr Vater niemals auf einen Menschen schießen, aber allein das Geräusch, wenn die Flinte durchgeladen wurde, reichte meistens, um die Hitzköpfe zur Vernunft zu bringen.
»So ist das nun mal hier in der Gegend«, schloss sie.
»Dein Vater und dein Bruder brechen das Gesetz.«
»Die Flinte gehört mir«, erklärte sie rasch. »Ich habe sie zusammengebastelt und unter die Theke gelegt. Daddy weiß nicht einmal, dass sie da ist. Also, nur zu, zeig mich an!«
»Es ist nicht gerade geschickt, einen Mitarbeiter des Justizministeriums zu belügen.«
»Ich werd’s mir merken.«
»Und wo genau hat dein Bruder gelernt, solche Waffen herzustellen?«
»Er redet eigentlich nicht darüber, aber er hat Dad einmal erzählt, dass er zu einem Spezialteam bei den Marines gehört hat.«
»Einem Spezialteam? Sieh mal an!«
»Aber jetzt ist wohl nicht der geeignete Zeitpunkt, über meine Familie zu sprechen. Außerdem geht dich das alles überhaupt nichts an.«
»O doch!«
»Was bildest du dir eigentlich ein?«
Theo trat noch ein Stück näher und drängte sie an den Tresen. Er beugte sich zu ihr hinab, bis sein Gesicht ganz dicht vor ihrem war. »Treib’s nicht zu weit.«
Innerhalb von fünf Sekunden wurde ihm klar, dass er nichts ausrichten konnte. Sie ließ sich nicht einschüchtern und hielt seinem Blick stand. So ärgerlich es auch war, aber er musste schließlich klein beigeben. Das passierte ihm nicht gerade häufig, und es war durchaus keine erfreuliche Erfahrung.
»Soll ich die Polizei rufen?«, fragte sie.
»Ich habe nicht vor, dich verhaften zu lassen.«
Entnervt erwiderte sie: »Ich rede nicht von mir! Ich dachte, dass die Polizei die Witzfiguren da übernehmen könnte.«
»Ja, ruf sie an, aber warte noch einen Moment. Ich möchte erst noch ein wenig verhandeln.«
Noah steckte gerade seinen Revolver weg und baute sich vor Jim auf. Theo schnappte sich einen Stuhl und setzte sich so, dass er Jim anblicken konnte.
»Haben Sie Ihr Handy bei sich?«
»Und wenn?«, fragte Jim streitlustig zurück.
»Rufen Sie Ihren Bruder an und sagen Sie ihm, dass er herkommen soll.«
»Sie haben mir nicht zu sagen, was ich tun oder lassen soll.«
»Doch, das habe ich«, widersprach Theo. »Und Sie haben eine Menge Ärger am Hals. Sie haben einen FBI-Agenten bedroht, und das bedeutet zwangsläufig Gefängnis.«
»Besprechen Sie das mit meinen Anwälten«, tönte Jim, obwohl die Farbe mit einem Mal aus seinem Gesicht gewichen war. »Sie werden sich darum kümmern. Und ich werde keinen einzigen Tag hinter Gittern verbringen.«
»Ich kenne nicht viele Juristen, die umsonst arbeiten. Ich bezweifle, dass Ihre Anwälte auch nur einen Finger für Sie rühren, wenn sie erfahren, dass Sie kein Geld haben, um sie zu bezahlen.«
Jim holte sein Handy aus der Tasche und wählte die Nummer seines Bruders. »Er wird sowieso nicht kommen«, prophezeite er Theo. »Gary hasst Unannehmlichkeiten.«
»Wie bedauerlich! Sagen Sie Gary, dass ich ihm zehn Minuten Zeit gebe, hier zu erscheinen, sonst lasse ich ihn von der Polizei abholen und ins Gefängnis stecken. Ihr Jungs werdet entweder mit mir verhandeln oder ein
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