Gnade
erzählt, dass John Paul an den Wochenenden immer als Barkeeper und Rausschmeißer bei ihm arbeitet.«
Michelle schüttelte den Kopf. »Dad weiß genau, dass sich John Paul an diesem Wochenende nicht blicken lässt. Mittlerweile dürfte mein Bruder erfahren haben, für wen ihr beide arbeitet, und deshalb wird er sich fern halten.«
»Dein Bruder ist nicht zufällig ein von der Polizei gesuchter Mann, oder?«, wollte Noah wissen.
»Nein, natürlich nicht!«
»Was hat er dann gegen das FBI?«, fragte Theo.
»Das musst du ihn schon selbst fragen.«
»Was nur möglich ist, wenn ich ihm jemals begegne«, stellte Theo lakonisch fest.
»Mein Bruder lebt sehr zurückgezogen«, sagte Michelle lahm. »Falls er dich kennen lernen will, wird er dich schon finden.« Lächelnd fügte sie hinzu: »Du wirst ihn jedenfalls nicht kommen sehen. Und wenn ihr mich jetzt bitte entschuldigt, ich habe einiges zu tun.«
Sie stand auf und fing an, das Geschirr abzuräumen. Theo erhob sich, um ihr zu helfen. Als er gerade Wasser ins Spülbecken laufen ließ, läutete es an der Tür. Noah lief hinaus, um zu öffnen.
Michelle legte die Teller ins Spülwasser. Bevor sie erneut zum Tisch gehen konnte, hielt Theo sie fest, indem er ihr den Arm um die Taille legte. Er beugte sich zu ihr hinab, um ihren Hals zu küssen.
»Was ist los mit dir?«
Sie hatte keine Kraft, sich zu verstellen, deshalb sprach sie aus, was ihr im Kopf herumspukte.
»Du machst mein Leben kompliziert.«
Er drehte sie zu sich herum. Sie wich zurück, aber er folgte ihr und drängte sie gegen die Spüle. »Du bereust doch nicht etwa …«
»Nein«, flüsterte sie. »Es war wundervoll.«
Sie vermochte ihm nicht in die Augen zu sehen und fixierte stattdessen sein Kinn, damit sie sich auf das konzentrieren konnte, was sie ihm sagen wollte. »Wir sind beide ganz normale erwachsene Menschen …«
»Normal?«
»Zieh mich nicht immer auf! Also, wir haben Bedürfnisse …«
»Ja, ich erinnere mich sehr gut daran«, neckte er.
»Wir dürfen so nicht weitermachen, und unsere …« Sie verstummte.
»Bedürfnisse?«, fiel er ein.
Sie lächelte trotz ihres Kummers. »Du machst dich über mich lustig.«
»Nur ein bisschen.«
Sie stieß ihn weg. »Ich lasse nicht zu, dass du mir das Herz brichst, Theo. Spiel deine Spielchen zu Hause mit den Großstadtmädchen!«
Er lachte laut auf. »Mit den Großstadtmädchen?«
»Kannst du nicht einmal ernst bleiben? Ich versuche dir gerade klar zu machen, dass wir keine gemeinsame Zukunft haben und dass du mich in Frieden lassen sollst.«
Er nahm ihr Gesicht zwischen die Hände und küsste sie leidenschaftlich. Als er sich wieder von ihr löste, sah er Tränen in ihren Augen.
»Weinst du?«
»Nein«, erwiderte sie energisch.
»Gut, ich dachte schon …«
»Ich hatte keine Ahnung, dass du so gemein sein kannst! Ich bitte dich aufzuhören …«
Er schüttelte langsam den Kopf.
Ihre Augen weiteten sich. »Nein? Warum nicht?«
Seine Lippen strichen über ihren Mund. »Du bist doch eine kluge Frau. Du kannst es dir bestimmt denken.«
Sie wurden von Noah unterbrochen, der in die Küche geschlendert kam. Er hatte eine große Kuriersendung unter dem Arm und trug außerdem einen riesigen, mit Folie bedeckten Metalltopf.
»Theo, nimm mir das Paket ab, ja? Es stand vor der Tür, und als ich es reinholen wollte, erschien eine Lady mit diesem Cajun-Hühnchen. Sie hat mir den Topf in die Hand gedrückt und war wieder weg, ehe ich Danke sagen konnte. Übrigens ein aufgeregtes kleines Mädchen.«
»Hat sie dir gesagt, wie sie heißt?«
»Molly Beaumont«, antwortete Noah. Er stellte den Topf auf den Tisch und nahm die Folie ab. »Riecht gut!«
»Ist eine Karte für Theo dabei?«
»Nein, sie sagte, dass du es gekocht hast, aber der Topf gehört ihr, und sie möchte ihn wieder zurückhaben.«
Theo setzte sich an den Tisch und riss das Paket auf. Noah nahm sich ein Hühnerbein und biss davon ab. Dann stieß er Theo an. »Weißt du, was Molly noch gesagt hat?«
»Was?«
»Sie hat mich gebeten, Trainer Buchanan Grüße auszurichten. Hast du gehört, Theo? Sie nannte dich Trainer!«
»Ja, ich weiß. Alle in Bowen nennen mich Trainer.«
»Ach? Da drängt sich mir die Frage auf, warum sie das tun«, sagte Noah stirnrunzelnd.
Theo achtete gar nicht auf ihn. Er hatte das Paket inzwischen geöffnet und pfiff leise durch die Zähne. »Nick hat sie also gefunden. Die Spielberichte«, fügte er erklärend hinzu. Er nahm eins der Bücher heraus
Weitere Kostenlose Bücher