Gnade
zwölf Seiten, möglicherweise mehr, aber manche stecken ineinander.« Sie schüttelte den Kopf. »Es ist zu riskant, sie alle herauszunehmen.« Sie steckte das Kuvert behutsam in den großen Umschlag zurück. »Ich muss das so schnell wie möglich ins Labor schaffen. Wenn die Leute dort alles untersucht haben, werde ich jemanden daransetzen, der herausfinden kann, was all diese Zahlen zu bedeuten haben.«
Es war eine große Enttäuschung, nicht sofort zu erfahren, was hinter alldem steckte. Michelle legte die Schnellhefter beiseite und stand auf. Sie begleitete Harris zum Aufzug. »Danke für Ihre Hilfe!«, sagte Harris und betätigte den Rufknopf. »Ich werde Sie auf dem Laufenden halten.«
»Sie haben Theo versprochen, ihm den Inhalt des Umschlags zu zeigen«, rief Michelle ihr ins Gedächtnis.
Die Lifttür ging auf. Harris betrat die Kabine und wählte einen Knopf. Kurz bevor die Tür zuglitt, lächelte sie und sagte: »Ich zeige ihm die Papiere in zwölf Stunden und keine Minute früher.«
Michelle stemmte die Hände in die Hüften und schüttelte missbilligend den Kopf, doch bevor sie etwas sagen konnte, schloss sich die Lifttür.
Megan stand hinter ihr. »Womit hatten Sie gerechnet? Was, dachten Sie, ist in dem Umschlag?«
»Befriedigende Antworten.«
»Wenn sich die Dinge geklärt haben – erzählen Sie mir dann, was das alles zu bedeuten hat?«
»Natürlich«, versprach Michelle. »Falls sich die Dinge jemals klären, werde ich Ihnen gern alles berichten.«
»Ihr Freund ist doch Anwalt. Wahrscheinlich weiß er sofort, was es mit diesen Zahlen auf sich hat. Und er lässt diese Frau bestimmt nicht aus dem Haus, ohne dass sie ihm die Sachen gezeigt hat. Ich gehe über die Treppe hinunter in die Notaufnahme. Dieses Spektakel möchte ich auf keinen Fall verpassen!«
Michelle musste noch den Patienten von Dr. Landusky untersuchen. »Sagen Sie Theo, dass ich gleich komme!«, rief sie hinter Megan her und machte sich auf den Weg ins Untersuchungszimmer.
Detective Harris ließ es nicht darauf ankommen, Buchanan noch einmal zu begegnen. Sie stieg im ersten Stock aus dem Aufzug und ging über die Treppe ins Parterre. Sie folgte den Schildern mit der Aufschrift ›Exit‹ und schlüpfte, ohne gesehen zu werden, aus einer Seitentür hinaus. Sie schlich um das Gebäude herum und rannte dann in Richtung Parkplatz. Den großen Umschlag drückte sie an ihre Brust. Plötzlich hörte sie quietschende Reifen hinter sich. Harris wirbelte herum und erblickte einen grauen Toyota, der direkt auf sie zuschoss.
34
Detective Harris ging nicht an ihr Handy, und Theo wurde sofort fuchsteufelswild. Er versuchte es ein zweites Mal, aber wieder meldete sich nur die Mailbox. Die Nachricht, die er ihr hinterließ, war eindeutig. Er wollte den Umschlag, und zwar sofort! Er rief sogar bei Harris’ Dienststelle an und ließ ihr etwas ausrichten. Er legte gerade auf, als Michelle aus dem Aufzug trat. Obwohl Megan Theo bereits von dem Fund berichtet hatte, forderte er Michelle auf, ihm noch einmal alles haarklein zu erzählen. Währenddessen gingen sie zusammen in den Aufenthaltsraum, wo Michelle ihre schmutzigen Kleidungsstücke abholen wollte.
»Aber du hast die Papiere nicht gesehen?«
»Nein«, antwortete sie. »Sie hat nicht zugelassen, dass ich sie anrühre. Sie hatte Angst um die Fingerabdrücke.«
»Den Teufel hatte sie!«, brummte Theo. »Sie hat dich ausgetrickst. Sie ist fest entschlossen, mich aus ihren Ermittlungen auszuschließen.«
»Zumindest für zwölf Stunden«, sagte Michelle.
Sie hatte die schmutzigen Kleider in einen Plastikbeutel gestopft und stand nun an der Tür. Theo griff erneut nach dem Telefon. »Ich denke, es wird höchste Zeit, härter durchzugreifen«, knurrte er.
»Theo?«
Er schaute sie an. »Ja?«
»Ich bin vollkommen erledigt. Ich muss ein wenig schlafen und du auch. Können wir bitte nach Hause fahren?«
»Ja, okay.«
»Lass der Frau doch die zwölf Stunden Zeit«, sagte sie. »Du hast es versprochen.« Sie gähnte. »Ich weiß, dass sie nicht mit dir zusammenarbeiten will und dass dich das auf die Palme bringt, aber ich denke, du solltest ihr einen kleinen Vorsprung gönnen. Sie hat schließlich drei Jahre in den Fall investiert.«
»Und wenn es fünfzehn Jahre wären – es kümmert mich einen Dreck!«, gab er zurück. »Ich lasse mich nicht so einfach ausschalten.«
Er war wirklich wütend. Als er und Michelle zum Auto kamen, kündigte er an, Detective Harris degradieren zu
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