Gnade
dazustehen. Wenn ihr ein Spielzeug gefiel, flehte sie ihre Mutter an, es ihr gleich zweimal zu kaufen, für den Fall, dass eins verloren ging. Genauso hielt sie es mit ihren Kleidern. Sobald Junie zu Geld kam, sorgte sie dafür, dass ihre Tochter von allem nur das Beste bekam. Sie erfüllte ihr jeden Wunsch. Ellie glaubte, dass Junie das Kind aus einem einzigen Grund so sehr verwöhnte: Sie plagte ein schlechtes Gewissen, weil sie die Kleine unehelich zur Welt gebracht hatte. Sie hatte wohl Recht. Ich dachte, Catherine würde es sich mit der Zeit abgewöhnen, alles zu horten, aber das Gegenteil war der Fall. Ich habe erfahren, dass es nur noch schlimmer wurde. Sie hat sich wirklich ausgesprochen seltsam verhalten. Zum Beispiel hat sie sich auch eine zweite Telefonleitung legen lassen. Als ich sie nach dem Grund fragte, sagte sie, dass eine ja mal gestört sein könnte und dass sie keine Lust habe, stundenlang zu warten, bis die Leute von der Störungsstelle den Schaden behoben hätten.«
Michelle trat hinzu und unterbrach den Redefluss ihres Vaters. »John Paul wärmt den Gumbo auf«, informierte sie ihn.
Theo blätterte weiter und betrachtete ein Foto von Catherine in einem Kleid, das offensichtlich zu klein für ihre üppige Figur war. Dann schlug er wieder die Seite mit dem Bild auf, das sie mit den zwei Puppen zeigte.
»Das arme Mädchen hat nach der Heirat ganz schön an Gewicht zugelegt«, bemerkte Jake.
»Woher willst du das wissen?«, fragte Michelle. »Sie hat dich doch nie empfangen.«
»Ihre Haushälterin hat es mir erzählt«, berichtete er. »Rosa Vincetti und ich haben ab und zu telefoniert. Sie ist eine wirklich nette Frau. Sehr ängstlich, aber herzensgut. Sie hat mir übrigens ein Rezept für selbst gemachte Pasta gegeben, aber ich hab’s noch nicht ausprobiert. Jedenfalls hat sie mir erzählt, dass sie sich Sorgen wegen Catherines enormem Übergewicht macht. Sie hatte Angst, dass ihr Herz das auf Dauer nicht mitmacht.«
»Catherine war …«, begann Michelle.
»Verrückt«, rief John Paul aus der Küche.
»Wer ist das nicht?«, konterte Michelle.
»Du glaubst mir also immer noch nicht«, stellte Jake fest.
»Das habe ich nicht gesagt.«
»Du bist aber noch nicht überzeugt.« Jake schob seinen Stuhl zurück und stand auf. »Ich habe einen beglaubigten Brief, der es beweist. Er kam vor ungefähr einer Stunde an.«
Jake ging zur Küchenanrichte, hob den Deckel von der Keksdose in Elefantenform, in der er alle wichtigen Papiere aufbewahrte, und nahm ein Kuvert heraus.
Michelle setzte sich neben Theo und schaute sich einige Fotos an. Eine Aufnahme zeigte ihre Mutter mit einem Baby auf dem Schoß. Mit der Fingerspitze berührte sie das Gesicht ihrer Mutter.
»Das ist Mum mit Remy als Baby.«
Zwei Seiten dahinter entdeckte Theo ein Foto von Michelle und lachte. Es gab kein Bild von ihr, das nicht in irgendeiner Weise komisch war – entweder stand ihr das Haar zu Berge, oder das Hemd hing ihr aus der Hose, oder sie streckte die Zunge heraus.
»Ich war hinreißend, nicht wahr?«
Theo lachte. »Wirklich hinreißend!«
Jake warf das Kuvert vor Michelle auf den Tisch. »Hier ist der Beweis, Frau Dr. Neunmalklug.«
Michelle schüttelte lächelnd den Kopf. »Daddy hat eine Menge reizender Spitznamen für mich auf Lager«, erklärt sie Theo.
Theo lächelte noch immer, doch dann fiel sein Blick auf den Umschlag und den Absender der Anwaltskanzlei. »Das ist es«, flüsterte er. »Das ist es!« Er schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.
»Was?«
»Die Verbindung. Es ist dieselbe Anwaltskanzlei. Verdammt …« Er schnappte sich den Brief, sah Jake an und fragte: »Darf ich?«
»Nur zu!«, entgegnete Jake.
»Aber du hast nicht …«, begann Michelle.
Theo legte seine Hand auf ihre. »Warte eine Minute, okay? Wo ist meine Brille?«
»Du hast sie auf der Nase.«
»Oh, richtig. Mann, jetzt fügt sich das Puzzle vielleicht zusammen!«
Während er den Brief las, starrten Jake und Michelle ihn gespannt an. Als er fertig war, schob er eilig den Stuhl zurück und erhob sich. »Ich muss nach New Orleans.«
Michelle nahm den Brief und überflog ihn. Laut Catherines Verfügung informierte ihr Anwalt Philip Benchley hiermit alle Begünstigten über die Höhe der Hinterlassenschaft und die Anteile, die jedem der testamentarisch bestimmten Erben zugedacht waren. Die Familie Renard würde vierhunderttausend Dollar erhalten, die zu gleichen Teilen unter Jake und seinen drei Kindern aufgeteilt
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