Gnade
umsichtig bei allem, was ich tue.«
Nicht was er sagte, sondern vielmehr wie er es sagte, beschleunigte ihren Herzschlag. War er auch im Bett langsam und umsichtig? Das wäre wunderbar!
»Sie waren verheiratet, nicht wahr?«, platzte sie heraus.
»Ja. Aber ich war nicht gerade ein guter Ehemann.«
»Ihre Frau lebt nicht mehr.«
»Das stimmt.«
Michelle räumte das Geschirr in den Schrank. »Dad hat mir davon erzählt. Wie ist sie gestorben?«
Er reichte ihr die Salatschüssel. »Warum interessiert Sie das?«
»Ich bin neugierig«, bekannte sie. »Wenn Sie mich allerdings für aufdringlich halten, stelle ich keine weiteren Fragen.«
»Nein, ist schon okay. Sie ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen.«
»O Theo, das tut mir Leid! Wann war der Unfall?«
»Es war kein richtiger Unfall.« Seine Stimme klang tonlos. Er hätte genauso gut über einen tropfenden Wasserhahn sprechen können. Michelle blickte ihn fragend an. Er seufzte. »Wissen Sie was? Das ist seit damals, seit vier Jahren, das erste Mal, dass ich es laut ausspreche.«
Sie hatte den Eindruck, als wolle er am liebsten das Thema wechseln, aber den Gefallen tat sie ihm nicht. Es war keinesfalls morbide Neugier, sie dachte viel eher daran, dass es für ihn endlich an der Zeit war, darüber zu sprechen. Offenbar hatte er sich vier Jahre lang nicht im Stande gesehen, sich die Wahrheit einzugestehen.
»War es Selbstmord?«
»Ja und nein.«
Er drückte ihr eine Schale in die Hand. »Ich glaube nicht, dass sie sich damals umbringen wollte. Zumindest nicht auf diese Art. Meine Frau hat die langsame Methode bevorzugt.«
»Das heißt?«
»Alkohol und Tabletten.«
Michelle schwieg und wartete, bis er fortfuhr.
»Sie hatte Alkohol, Pillen und wer weiß was sonst noch im Blut. Es war eine wahrhaft tödliche Kombination. Zumindest steht es so im Autopsiebericht. Als sie sich hinters Steuer setzte, war sie nicht Herrin ihrer Sinne. Sie fuhr über eine Brücke, raste durch die Brüstung und landete im Wasser. Eine scheußliche Art zu sterben, finden Sie nicht auch?« Er wartete die Antwort gar nicht erst ab. »Ich bezweifle allerdings, dass sie überhaupt mitbekommen hat, was mit ihr geschah, und ich danke Gott, dass niemand sonst im Auto saß.«
Es kostete Michelle große Selbstüberwindung, keine deutliche Reaktion zu zeigen. Theo war ein stolzer Mann, und sie wusste, dass er sich vollkommen verschließen würde, wenn sie Mitgefühl oder gar Mitleid äußerte. Und das wollte sie um jeden Preis verhindern.
»Wissen Ihre Freunde und Ihre Familie, wie es wirklich passiert ist?«
»Nein«, sagte er. »Ich bin allerdings ziemlich sicher, dass Nick etwas ahnt. Aber er hat nie etwas gesagt.«
»Vielleicht wartet er darauf, dass Sie mit ihm darüber sprechen.«
»Ja, vielleicht.«
Michelle wusste nicht, wie weit sie gehen konnte. Sie lehnte sich an die Arbeitsplatte, faltete das Küchentuch zusammen und fragte: »Machen Sie sich Vorwürfe?«
Theo zuckte mit den Achseln, als wäre diese Frage nicht von Bedeutung. »Ich habe mich damit abgefunden, was geschehen ist. Auf jeden Fall hat es mir vor Augen geführt, dass ich nicht für die Ehe geboren bin. Ich habe alles andere wichtiger genommen. Ich hätte meiner Frau mehr Aufmerksamkeit schenken müssen. Ich war immer sehr beschäftigt, habe manchmal zwanzig Stunden am Tag gearbeitet und nicht gemerkt, was zu Hause vor sich ging. Ich wusste, dass sie viel trank, aber mir war nicht klar, dass es mittlerweile zur Sucht geworden war. Ich glaube, ich habe einfach die Augen davor verschlossen.«
»Aber sie selbst war dafür verantwortlich. Ich weiß, das klingt nicht sehr mitfühlend, aber Sie haben ihr nicht die Pillen in den Mund gesteckt oder den Alkohol in ihre Kehle gegossen.«
»Die Ehe ist eine Partnerschaft«, sagte Theo. »Ich habe meinen Teil der Vereinbarung nicht eingehalten. Meine Frau war labil. Sie brauchte Hilfe, aber ich war blind dafür.«
»Ich finde, es ist gut, dass Sie endlich dazu in der Lage sind, über diese Dinge zu sprechen. So können Sie sich vielleicht eines Tages davon befreien.«
»Wovon?«
»Von der Wut, der Verletzung, den Schuldgefühlen.«
»Spielen Sie jetzt bloß nicht die Seelenklempnerin!« Theo drückte Michelle einen Pfannenwender in die Hand, damit sie ihn wegräumen konnte, dann ließ er das Wasser aus dem Spülbecken. »So, ich bin fertig«, sagte er. »Haben Sie noch mehr Fragen, oder können wir das Thema wechseln?«
Sie hätte sich gern erkundigt, ob er
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