Gnade
Gefühl, dass sie ihm Paroli bieten konnte. Sie war schließlich nicht auf den Kopf gefallen.
Wenn du mit mir spielen willst, musst du auch die Konsequenzen tragen.
»Möchtest du ein bisschen schmusen?«, fragte Theo neckisch.
Sie lachte. »Nein.«
»Falls du noch nicht sicher bist …«
»Ich bin sicher!«
»Dann solltest du besser dein Oberteil zuknöpfen.«
Michelle schaute an sich hinunter und stöhnte laut. Ihr Oberteil stand weit offen. Diese verdammten Seidenknöpfe, nie blieben sie zu! Ihre Brüste waren glücklicherweise noch knapp bedeckt. Hastig nestelte sie an den Knöpfen herum, um sie wieder zu schließen.
Als sie Theo erneut anschaute, war ihr Gesicht gerötet. »Warum hast du nichts gesagt?«
»Machst du Witze? Warum sollte ich? Der Anblick hat mir gefallen. Du brauchst mich gar nicht so anzugucken – ich habe die Knöpfe nicht angerührt. Ich bin nur ein unschuldiger Beobachter.«
Sie griff nach ihrem Bademantel. »Ich gehe jetzt ins Bett. Danke für die Massage! Sie hat wirklich geholfen.«
Plötzlich beugte sich Theo vor, nahm ihr Gesicht zwischen die Hände und küsste sie. Ihr Mund war weich, warm und süß und schmeckte nach Pfefferminz. Theo wartete auf eine Reaktion. Er wollte Michelle auf keinen Fall überrumpeln.
Sie war auf diesen Kuss nicht vorbereitet, leistete jedoch keinerlei Widerstand. Ihre Lippen öffneten sich. Theos Kuss war so zärtlich, dass Michelle weiche Knie bekam. Sie war in diesem Moment bereit, alles zu tun.
Und dann zog sich Theo abrupt zurück. »Süße Träume!«
»Was?«
»Gute Nacht!«
»Oh. Ja, ich gehe dann mal ins Bett.«
Seine Augen blitzten. Er wusste offensichtlich genau, was er gerade mit ihr angestellt hatte. Sie war regelrecht dahingeschmolzen. Was würde erst passieren, wenn sie sich wirklich liebten? Wahrscheinlich würde sie einen Nervenzusammenbruch erleiden.
Wie konnte er bloß so plötzlich ein solch intensives Gefühl bei ihr hervorrufen? Durch Erfahrung und Übung, entschied sie. Sie stand auf und ging hinaus. Und durch Disziplin. Sie hingegen besaß die Standhaftigkeit eines Kaninchens. Ein Kuss, und schon war sie zu allem bereit.
Sie war wirklich unmöglich! Aber warum musste er auch so gut küssen? Sie schob sich die Haare aus dem Gesicht. Wenn sie ihre Emotionen nicht in den Griff bekam, würde dieser Großstadtjunge sie bei lebendigem Leibe auffressen. Sie war beileibe nicht die Unschuld in Person. Sie hatte natürlich schon eine Beziehung gehabt, und damals war sie fest davon überzeugt gewesen, dass sie den Mann heiraten würde. Aber er hatte sie nie so geküsst wie Theo, und er hatte ihr auch niemals das Gefühl gegeben, so lebendig und begehrenswert zu sein.
Dieser schreckliche Kerl! Als Michelle die Treppe hinaufeilte, stolperte sie über den Saum des Bademantels. Sobald sie in ihrem Zimmer war, warf sie den Mantel wütend auf einen Stuhl. Dann ging sie ins Bett. Sie blieb etwa fünf Sekunden lang liegen, dann sprang sie auf und lief erneut hinunter.
Theo saß wieder am Schreibtisch und tippte etwas in seinen Laptop.
»Jetzt hör mir mal zu!« Sie sprach laut und eindringlich.
»Ja?«, fragte er, ohne seine Hände von der Tastatur zu nehmen.
»Ich will nur, dass du weißt …«
»Was?«
»Ich bin eine verdammt gute Chirurgin und Ärztin. Während du all deine Erfahrungen gesammelt – nein, während du in der Gegend herumgevögelt hast – und ich benutze dieses Wort bewusst …«
»Aha.« Ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel.
Sie tippte sich auf die Brust. »… war ich damit beschäftigt zu lernen, wie man mit einem Skalpell umgeht. Ich will, dass du weißt …«
»Was denn noch?«, hakte er nach, als sie plötzlich verstummte.
Mit einem Mal war ihr Gehirn vollkommen leer. Etliche Sekunden verstrichen, und keiner von beiden sagte ein Wort. Michelle ließ die Schultern sinken und murmelte: »Ach, keine Ahnung.«
Ohne ein weiteres Wort lief sie davon. Konnte sich jemand eindrucksvoller zum Narren machen als sie? »Das bezweifle ich«, flüsterte sie und stieg zum zweiten Mal an diesem Abend ins Bett.
Sie kam sich vor wie David, der losgezogen war, um Goliath die Stirn zu bieten, aber seine Steinschleuder vergessen hatte. Sie stöhnte laut, drehte sich auf den Bauch, zog das Kissen über den Kopf und schloss die Augen. Dieser Mann trieb sie wirklich in den Wahnsinn.
19
Monk hasste Observierungen. Er stand im Schatten einer Trauerweide, beobachtete Dr. Renards Haus und wartete, bis er sicher sein konnte,
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