Gnade
dass sie ins Bett gegangen war. Dann erst würde er in sein Motelzimmer gehen und sich ein paar Stunden Schlaf gönnen. Natürlich wollte er sich zuvor noch die Aufzeichnungen der angezapften Telefongespräche anhören. Er rieb sich unwillig den Schenkel. Als er auf den Telefonmast geklettert war, um die Wanze zu installieren, hatte er nämlich seine beste Khakihose zerrissen.
Während er stundenlang auf seinem Beobachtungsposten ausharrte, dachte er über seine früheren Aufträge nach. Er ging gern immer wieder die winzigsten Details durch. Dabei war er keineswegs makaber und empfand gewiss kein perverses Vergnügen daran, seiner Opfer zu gedenken. Nein, sein Ziel bestand vielmehr darin, seine Ausführung im Nachhinein zu analysieren. Welche Fehler hatte er gemacht? Was konnte er verbessern?
Er lernte bei jedem Job, den er übernahm, etwas dazu. Die Frau in Biloxi hatte eine geladene Waffe unter dem Kopfkissen aufbewahrt. Falls ihr Mann davon wusste, hatte er vergessen, Monk darauf aufmerksam zu machen. Sie hätte Monk um ein Haar den Kopf weggeblasen, aber glücklicherweise war es ihm gelungen, ihr die Waffe aus der Hand zu reißen. Dann hatte er sie dazu benutzt, die Frau zu töten, anstatt wertvolle Sekunden damit zu verschwenden, sie zu ersticken. Rechne immer mit dem Unerwarteten! Das war die erste Lektion.
Dann erinnerte er sich an den Teenager in Metairie. In dieser Nacht war Monks Performance weit davon entfernt gewesen, perfekt zu sein, und im Rückblick war ihm sein riesiges Glück bewusst, dass niemand ihn am Tatort entdeckt hatte. Er war viel zu lange dort geblieben. Er hätte in der Sekunde gehen müssen, in der der Job erledigt war, aber er hatte sich stattdessen einen Film im Fernsehen angesehen. Dieser Irrsinn war umso bemerkenswerter, als Monk sonst nie fernsah. Er hielt sich für viel zu intelligent, um sich den Müll der verschiedenen Sender reinzuziehen, der die ohnehin schon abgestumpften Couch-Potatoes noch mehr verblödete.
Aber dieser Film war anders. Und außerdem ungeheuer amüsant. Als er in das Schlafzimmer des Opfers eindrang, hatte der Film gerade erst begonnen. Monk erinnerte sich noch immer an jede Einzelheit dieser Nacht. An die rosafarben-weiß gestreifte Tapete mit den kleinen hellroten Rosenknospen, die vielen Stofftiere auf dem Bett des Opfers, die rosafarbenen Rüschenvorhänge. Das Mädchen war sein jüngstes Opfer, aber das hatte ihn nicht im Geringsten gestört. Ein Job war ein Job, basta! Monk war nur wichtig, dass er erledigt wurde und dass er ordentlich erledigt wurde.
Die Musik dröhnte laut. Das Mädchen war wach, jedoch ziemlich stoned von dem Joint, den es gerade rauchte. Ein schwerer, süßer Geruch lag in der Luft. Das Mädchen trug ein kurzes blaues T-Shirt, lag inmitten der vielen Kissen seines rosafarbenen Himmelbetts und hatte eine Riesentüte Chips auf dem Schoß. Es starrte mit leerem Blick auf den Bildschirm und merkte gar nicht, dass inzwischen jemand das Zimmer betreten hatte. Monk brachte das halbwüchsige Mädchen mit dem von Akne gezeichneten Gesicht und dem strähnigen braunen Haar aus reiner Gefälligkeit um – und natürlich wegen der fünfundzwanzigtausend Dollar. So konnte der gute alte Dad die Dreihunderttausend-Dollar-Versicherung kassieren, die er erst sechs Monate zuvor auf sein einziges Kind abgeschlossen hatte. Die Versicherungspolice enthielt eine Klausel, die dem Hinterbliebenen bei einem nachgewiesenen Unfalltod des Opfers die doppelte Summe versprach. Monk hatte sich große Mühe gegeben, den Mord als Unfall zu tarnen, denn in diesem Fall bekam auch er das doppelte Honorar. Der Vater hatte durch einen Bekannten von Monks zuverlässiger Arbeit gehört, und obwohl es nicht nötig gewesen wäre – Monk interessierte sich ausschließlich für die Bezahlung –, erklärte er ihm eingehend, warum er den Tod seiner Tochter wünschte. Er gestand ihm, dass er sich schnellstmöglich die Kredithaie vom Hals schaffen musste, und dies war der einzige Weg, überhaupt zu Geld zu kommen. Nichts auf dieser Welt geht doch über die Elternliebe.
Während Monk das Mädchen tötete, hörte er einem Dialog im Film zu, und innerhalb von einer oder zwei Minuten war er gefesselt. Er schob die Füße der Dahingeschiedenen beiseite, setzte sich ans Fußende des Bettes und sah sich den Film bis zum Abspann an. Währenddessen vertilgte er die Chips.
Gerade als er gehen wollte, hörte er, wie das Garagentor aufschwang. Er verschwand rasch und unauffällig
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