Gnade
manchen Tagen kann ich meinen rechten Arm überhaupt nicht bewegen. Wann werden Sie denn die ersten Patienten empfangen?«
»Ich hoffe, in zwei Wochen.«
»Bis dahin können wir noch warten«, sagte er. »Wir haben schließlich auch bis jetzt die Schmerzen ausgehalten. Und dieser Teilzeitjob hier hilft mir, mich von meinen Beschwerden abzulenken. Ich springe für den eigentlichen Wachmann an zwei Tagen pro Woche ein.« Er ließ seinen Blick zum Büro des Direktors schweifen. Dann fügte er hinzu: »Schauen Sie sich das an! Mr. Wallbash sieht aus, als würde er gleich einen Herzinfarkt bekommen. Sein Gesicht ist rot wie eine Chilischote, und er schwitzt wie ein Schwein. Offensichtlich gefällt ihm gar nicht, was der Officer ihm zu sagen hat.«
Michelle musste ihm Recht geben. Wallbash sah nicht gerade gesund aus. Er blätterte in den Papieren, die Theo auf seinen Schreibtisch gelegt hatte, dann blickte er auf und funkelte Theo böse an.
Michelle konnte Theos Gesicht nicht sehen, weil er mit dem Rücken zu ihr stand. Er beugte sich weit über den Schreibtisch, und was er nun äußerte, hatte offensichtlich eine enorme Wirkung auf Mr. Wallbash. Der Direktor hob beide Hände, als wolle man ihn gerade ausrauben, und nickte energisch.
Michelle glaubte zu wissen, warum er sich so verhielt. Theo musste das magische Wort ausgesprochen haben.
Kurz darauf verließ er das Büro des Direktors, ohne ihm zum Abschied die Hand zu schütteln. Wallbash hatte genug damit zu tun, sich den Schweiß von der Stirn zu wischen. Auf der Schwelle blieb Theo noch einmal stehen und sagte etwas, das Wallbash die Farbe aus dem Gesicht trieb.
Als Theo auf Michelle zukam, war seine Miene grimmig. Er bemerkte, dass sie ihm entgegenblickte, und zwinkerte ihr zu. Dann ergriff er ihre Hand, nickte dem Wachmann kurz zu und zog Michelle hinter sich her.
Sie wartete, bis sie im Wagen saßen, um herauszubekommen, was geschehen war. »Und?«
»Wallbash ist nicht gerade glücklich, aber er wird kooperieren. Das will ich ihm auch geraten haben!«, setzte er in einem gereizten Ton hinzu.
»Und jetzt?«
»Noch ein Stopp, und dann können wir zu Mittag essen. Sag mir doch bitte, wie man von hier aus zur Zuckermühle kommt!«
Sie beschrieb ihm den Weg, dann bat sie ihn, ihr zu verraten, was er mit dem Bankdirektor gemacht hatte. »Wallbash sah aus, als würde er jeden Moment in die Luft gehen.«
»Seit die Carson-Brüder die Mühle betreiben, haben sie all ihre Geldgeschäfte über die Bank in St. Claire abgewickelt. Sie gehören zu den größten Kunden der Bank, und das dürfte dir genügend darüber verraten, wie viel Profit diese Hurensöhne aus der Mühle gezogen haben. Wallbash und Gary Carson sind Freunde. Laut Wallbash ist er ein richtig netter Kerl.«
»Und was ist mit seinem Bruder?«
»Jim Carson ist ein Hitzkopf. Ich denke, Wallbash hat Angst vor ihm. Jim war übrigens auch derjenige, der Daryl im Krankenhaus besucht hat, um ihm zu kündigen. Sie haben die Rollen so verteilt, dass sie stets das bekommen, was sie wollen.«
»So wie der gute und der böse Cop?«
»Eher der böse und der noch bösere. Weißt du, mir ist ein Hitzkopf lieber als ein hinterlistiges Wiesel. Wenn ich Glück habe, sind heute beide Brüder in der Mühle, und ich habe Gelegenheit, sie bei ihrer Vorstellung zu erleben.«
»Aber was für einem Zweck diente denn dein Besuch bei der Bank?«
»Ich habe ihre Konten eingefroren.«
Michelle brach in Gelächter aus. »Das kann unmöglich legal sein.«
»Natürlich ist es legal«, widersprach Theo. »Wallbash liegen alle nötigen richterlichen Verfügungen vor – unterschrieben und rechtskräftig. Er muss kooperieren, oder ich nagle seinen …« Er brach gerade noch rechtzeitig ab.
Michelle beendete den Satz für ihn: »… Arsch an die Wand.«
»Genau.«
»Wieso guckst du eigentlich ständig auf die Uhr?«
»Ein gutes Timing ist alles«, sagte er. »Ich bin für halb zwölf mit Gary Carson verabredet.«
»Du hast einen Termin mit ihm?«
»Klar!«
»Hast du ihm gesagt, weshalb du ihn sprechen willst?«
»Selbstverständlich nicht. Ich will doch nicht die Überraschung verderben. Ich habe seiner Sekretärin erzählt, dass ich Geschäfte mit der Mühle machen möchte.«
»An der nächsten Kreuzung links«, sagte Michelle. »Und dann zwei Meilen weiter auf dieser Straße. Die Mühle ist recht weit außerhalb.« Sie schwieg einen Moment lang. »Also glaubt Carson, dass er gleich einen neuen Kunden
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