Gnadenfrist
übersehen.
Zehn Minuten später rief Marian von der Polizei aus bei Jim an. Mit von Zorn und Verzweiflung erstickter Stimme schluchzte sie: »Jim… Jim… Nein, mir ist nichts passiert…
Aber Jim, jemand, irgendein Mistkerl hat unser Auto gestohlen.«
12
Während er durch den immer dichter fallenden Schnee fuhr, ging er noch einmal seinen Zeitplan durch. Ungefähr in diesem Augenblick dürfte der Wagen vermißt werden. Die Frau lief vermutlich ein bißchen umher, um sich zu vergewissern, daß sie sich nicht in der Stelle irrte, wo sie ihren Wagen abgestellt hatte. Dann schrie sie wahrscheinlich nach der Polizei oder würde zu Hause anrufen. Bis der Dienstleiter eine Funkmeldung an die Streifenwagen durchgegeben hatte, war er selbst längst außerhalb der Reichweite neugieriger Connecticut-Polypen.
Abgesehen davon würde kaum jemand nach diesem Schrotthaufen von einem Auto besonders Ausschau halten. Die Polizisten verdrehten höchstens die Augen, wenn sie wegen eines Wagens, der nur ein paar hundert Dollar wert war, eine Durchsage an alle erhielten.
Aber Sharon Martin befand sich in seinem Besitz. Seine Haut wurde feucht vor Erregung.
Wie angenehm warm war es ihm geworden, als er sie fesselte. Ihr Körper war so schlank, über Schenkeln und Hüften jedoch sanft gerundet und weich. Er hatte das sogar durch ihren schweren Wollrock gefühlt. Sie wehrte sich und hatte wohl auch Angst, als er sie zum Wagen trug, aber er war überzeugt, daß sie ihren Kopf absichtlich an seine Brust geschmiegt hatte.
Er hatte die Connecticut-Schnellstraße genommen bis zum Hutchinson River Parkway South, dann die Überlandstraße bis zum Henry Hudson Parkway. Auf den verkehrsreichen Straßen fühlte er sich sicherer. Als er sich dem West Side Drive näherte, der nach Manhattan hineinführte, lag er etwas hinter seinem Zeitplan zurück. Angenommen, nur angenommen, sie suchten den Wagen bereits.
Die anderen Fahrer krochen im Schneckentempo dahin. Diese Narren. Hatten Angst vor der glatten Straße, wollten kein Risiko eingehen, aber ihn aufhalten, ihm Schwierigkeiten machen, das konnten sie… Unter seinem Auge begann es wieder zu pochen. Es pochte so stark, daß er seinen Finger auf die Stelle preßte. Er hatte sich ausgerechnet, bis spätestens sieben Uhr, noch bevor sich der Pendlerverkehr verlaufen hatte, am Bahnhof zu sein. Sie würden dann weniger auffallen.Es war zehn nach sieben, als er die Ausfahrt vom West Side Highway in die 46. Straße erreichte. Er fuhr einen halben Block in östlicher Richtung und bog dann in eine Nebenstraße ein, die hinter einem Lagerhaus herumführte. Hier gab es keine Wächter - und er brauchte nur eine Minute.
Er hielt an und schaltete die Scheinwerfer aus. Feinkörniger Schnee stäubte ihm in Gesicht und Augen, als er die Wagentür öffnete. Es war kalt, verdammt kalt.
Suchend ließ er seine Augen über die unbeleuchtete Gegend gleiten. Zufriedengestellt griff er hinter den Fahrersitz nach dem Mantel, den er über Sharon geworfen hatte. Jetzt sah sie sicher mit flammenden Augen zu ihm auf; er fühlte es. Leise lachend holte er seine winzige Kamera hervor und fotografierte sie. Das grelle Blitzlicht ließ sie zusammenzucken. Dann entnahm er seiner Innentasche eine bleistiftdünne Taschenlampe, schaltete sie aber erst ein, als sich seine Hand tief im Wageninnern befand.
Genüßlich leuchtete er mit dem feinen Lichtstrahl in Sharons Augen, ließ ihn langsam wenige Zentimeter vor ihrem Gesicht hin und her gleiten, bis sie die Augen zukniff und versuchte, den Kopf wegzudrehen.
Es machte Spaß, sie zu necken. Mit einem kurzen, fast lautlosen Lachen packte er sie bei den Schultern und zwang sie, sich auf den Bauch zu legen. Mit wenigen Messerschnitten durchtrennte er ihre Fesseln an Beinen und Handgelenken. Ein schwacher, durch den Knebel gedämpfter Seufzer, eine schaudernde Bewegung ihres ganzen Körpers…
»Tut gut, Sharon, nicht wahr?« flüsterte er. »Ich nehme dir jetzt den Knebel ab. Wenn du nur einen Laut von dir gibst, stirbt der Junge. Verstanden?«
Ohne ihr bestätigendes Nicken abzuwarten, durchschnitt er den Knoten an ihrem Hinterkopf, und Sharon spuckte den Gazebausch aus. Verzweifelt bemühte sie sich, nicht zu stöhnen. »Neil… bitte…«, flüsterte sie fast unhörbar.
»Er wird ersticken…«
»Das liegt bei dir.« Der Fremde zerrte sie aus dem Wagen und stellte sie auf die Füße.
Entfernt wurde Sharon bewußt, daß Schnee auf ihr Gesicht fiel. Sie war so benommen. Ihre
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