Gnadenfrist
ebensowenig Kontrolle wie eine dieser Schneeflocken über ihr endgültiges Schicksal: ob sie auf einem Feld, einem Strauch, auf dem Rasen oder auf der Straße landete, bei der Berührung erstarren oder schmelzen würde, ob sie in den Rinnstein gefegt, überfahren oder von Stiefeln knirschend zertreten würde.
Benommen wie er war, verlor er sich in Fantastereien, und es kostete ihn einige Anstrengungen, seine Gedanken in die Gegenwart zurückzuholen. Er konnte nicht hilflos herumsitzen und abwarten. Es mußte etwas geschehen.
»Ich hole jetzt die Bankunterlagen und fahre nach New York«, sagte er zu Hugh.
»Nur noch ein paar Minuten, Mr. Peterson. Wir müssen noch einiges besprechen.«
Steve wartete.
»Was geschieht, wenn Sie Sohn und Sharon erhalten?« »Er versprach…«
»Er kann es vielleicht nicht mehr rechtzeitig abliefern. Wie soll er es Ihnen zuspielen, vorausgesetzt, er macht überhaupt eine Tonaufnahme? Die Frage ist, wären Sie bereit, auch ohne diesen Beweis zu zahlen?«
Steve überlegte. »Ja. Ich werde das Risiko nicht eingehen, ihn gegen uns aufzubringen.
Vielleicht deponiert er irgendwo ein Band oder eine Kassette in der Annahme, daß sie gefunden wird… Und außerdem, wenn ich nicht mitziehe…«
»In Ordnung. Damit beschäftigen wir uns später. Wenn bis um zwei Uhr morgen früh nichts eingegangen ist, also bis zu dem Zeitpunkt, zu dem er Sie in der Telefonzelle an der 59.
Straße anruft, versuchen Sie, ihn hinzuhalten. Sagen Sie ihm, daß Sie nichts bekommen haben. Wenn er behauptet, er habe es irgendwo deponiert, können Sie es ja abholen.
Nun zum nächsten Punkt. Wollen Sie ihm echtes Geld geben? Wir könnten Falschgeld nehmen, das leicht aufzufinden wäre.«
»Ich möchte das Risiko einfach nicht eingehen. Das Geld wurde für Neils Erziehung zurückgelegt. Wenn ihm etwas zustößt…«
»Gut. Sie nehmen also das Geld von Ihrem Konto. Lassen Sie sich einen Barscheck geben und kommen Sie damit zur Federal Reserve Bank. Unsere Leute werden dort alle Scheine des Lösegelds fotografieren. Auf diese Weise haben wir wenigstens eine Möglichkeit…«
Steve fiel ihm ins Wort. »Ich will nicht, daß das Geld markiert wird.«
»Ich spreche nicht von markieren, sondern von fotografieren. Ob wir das getan haben oder nicht, kann der Entführer unmöglich feststellen. Aber 82 000 Dollar in Zehnern, Zwanzigern und Fünfzigern zu fotografieren braucht Zeit.« »Ich weiß.«
»Mr. Peterson, nun gibt es mehrere Vorsichtsmaßnahmen, zu denen ich Ihnen dringend rate.
Erstens: Lassen Sie uns Kameras in Ihren Wagen einbauen. Auf diese Weise bekommen wir vielleicht einen Hinweis, dem wir folgen können, sobald Sie Kontakt mit dem Entführer hatten. Wir können vielleicht sogar ein Bild von ihm machen oder von seiner Autonummer oder dem Wagen, den er fährt. Wir möchten außerdem einen Signalgeber an Ihrem Wagen installieren, so daß wir Ihnen in einer sicheren Entfernung folgen können. Ich verspreche Ihnen, daß diese Geräte unmöglich zu entdecken sind. Als letztes - und das liegt ebenfalls ganz bei Ihnen - würden wir gern ein elektronisches Peilgerät in dem Koffer mit dem Lösegeld verstecken.«
»Angenommen, der Entführer findet es. Dann weiß er, daß ich die Polizei eingeschaltet habe.«
»Angenommen, Sie lassen es nicht einbauen und Sie hören kein Wort mehr von ihm… Sie haben bezahlt und Sie haben Ihr Kind und Sharon nicht zurückbekommen. Glauben Sie mir, Mr. Peterson, wir bemühen uns in erster Linie, die Menschen gesund zurückzubekommen.
Danach werden wir alle Register ziehen, um die Verbrecher zu finden. Aber es liegt bei Ihnen.«
»Was würden Sie tun, wenn es sich um Ihren Sohn und um Ihre - Frau handelte?«
»Mr. Peterson, wir haben es nicht mit ehrenhaften Leuten zu tun. Die simple Regel >Ware gegen Geld< gilt hier nicht. Vielleicht läßt man sie frei. Vielleicht. Aber vielleicht werden sie einfach irgendwo zurückgelassen, wo sie sich nicht selber befreien können. Das muß man in Erwägung ziehen. Zumindest wird der Bereich eingeschränkt, wenn wir die Spur des Entführers elektronisch verfolgen können.
Steve zuckte hilflos die Achseln. »Tun Sie, was Sie tun müssen. Ich werde mit Bills Wagen nach New York fahren.«
»Nein. Ich schlage vor, daß Sie mit Ihrem eigenen Wagen fahren und ihn wie gewöhnlich am Bahnhof abstellen. Es ist durchaus möglich, daß Sie überwacht werden. Wir lassen Sie unauffällig beschatten. Ein Beamter folgt Ihnen in einiger Entfernung.
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