Gnadenfrist
für einen Patrizier. Zum Glück hatte ich nie erwartet, die Anerkennung eines Senatorensohnes zu finden. Mir war es recht; das ersparte mir die Anstrengung, ihn mögen zu müssen.
»Sie sind also der Mann, der die Karriere meines Bruders gefördert hat!« rief Aelianus.
Fast ein Jahrzehnt älter als er und zehnmal so erfahren, ließ ich mich nicht provozieren. »Quintus ist warmherzig und intelligent. Die Leute mögen ihn, und er ist an allem interessiert – natürlich hat so ein Mann keine Chancen im öffentlichen Leben! Im Gegensatz zu Ihnen, wie ich annehme.« Gut gemacht, Falco; eine Beleidigung, aber hübsch verpackt.
Tatsächlich hatte der junge Justinus alle Chancen. Aber warum sollte ich Ärger heraufbeschwören? Nahe Verwandte finden immer genug Grund zum Neid.
»Haben Sie auch sein Interesse am Theater geweckt?« höhnte sein Bruder.
Diesmal antwortete der Senator: »Er sucht sich seine Hobbys selbst aus – so wie ihr alle.« Das mußte eine väterliche Anspielung sein; ich lehnte mich zurück und überlegte, welchen zweifelhaften Vergnügungen der hochnäsige Aelianus wohl frönte. Sollte er mir irgendwelche Schwierigkeiten machen, würde es sich lohnen, das herauszufinden.
»Man kann nur hoffen, daß dieses Hobby meines Bruders nicht von Dauer ist – genau wie das meiner Schwester!«
Justinus hatte während seiner Militärzeit so viel Ruhm eingeheimst, daß ein Skandal ihn in den Augen der Öffentlichkeit nur noch interessanter machen würde. Aelianus’ eigene Militärzeit dagegen war völlig ereignislos verlaufen, und seine einjährige unbezahlte Tätigkeit als Adjutant des Gouverneurs von Baetica hatte seinem Namen auch keinen Glanz verliehen. Andererseits war beides nicht sein Fehler gewesen. Auch mir war das Glück geschickt aus dem Weg gegangen, also sagte ich freundlich: »Seien Sie nicht neidisch. Ihr Bruder war nur zur richtigen Zeit in der richtigen Provinz.«
»Und natürlich kannte er Sie!«
Wieder dieser unfreundliche, höhnische Ton. In seiner Naivität meinte Aelianus offenbar, mich damit auf die Palme bringen zu können. Statt dessen sagte sein Vater milde: »Das war in der Tat ein glücklicher Zufall. Als Marcus auf eine seiner besonders schwierigen Missionen geschickt wurde, war dein Bruder in der Lage, sich ihm anzuschließen.«
»Hast du dem zugestimmt?« fragte Aelianus anklagend. »Ich habe gehört, daß die Sache, in die sich Justinus da in Germanien eingelassen hat, verdammt gefährlich war.«
»Ich habe erst im nachhinein davon erfahren«, erwiderte Camillus wahrheitsgemäß.
Der junge Mann platzte fast vor würdevoller Entrüstung. »Da sind ein paar Dinge, die wir klarstellen sollten.« Der Senator und ich sahen uns an, ließen ihn aber gewähren. Er brauchte offenbar seinen Rabatz. Das war einfacher, als mit ihm zu argumentieren. »Dieser Mann ist ein gewöhnlicher Spitzel.« Ich bemerkte, daß er sich noch nicht einmal dazu durchringen konnte, meinen formellen Namen zu benutzen. »Die Situation mit meiner Schwester schadet unserer Familie.« Womit er meinte, sie könnte sich schädlich auf seine eigene Karriere auswirken.
Der Senator schaute verärgert. Was auch immer er davon hielt, daß seine wohlerzogene, aus guter Familie stammende Tochter mit einem ungeschliffenen Plebejer wie mir durchgebrannt war, nach außen machte er gute Miene dazu. »Falco ist ein kaiserlicher Agent. Er besitzt das Vertrauen des Kaisers.«
»Aber Vespasian kann Spitzel nicht ausstehen.«
Ich lachte. »Außer, wenn er sie braucht.«
Der jüngere Camillus plusterte sich immer noch auf. »Von einer öffentlichen Anerkennung der Rolle des ›kaiserlichen Agenten‹ ist mir nichts bekannt. Sie ist weder mit einem offiziellen Titel noch mit einem Gehalt verbunden. Und soviel ich weiß, war zwar mal die Rede von einer beträchtlichen Belohnung, aber weiter ist die Sache nie gediehen!«
Ich zwang mich, nicht darauf zu reagieren. Ich hatte Helena versprochen, mich auf keine Unterhaltung einzulassen, bei der ich am Ende ihren Bruder zusammenschlug.
Camillus senior war die Sache offensichtlich peinlich. »Falcos Arbeit unterliegt naturgemäß der Geheimhaltung. Beleidige unseren Gast nicht.« Tapfer versuchte er, das Thema zu wechseln: »Du scheinst gut in Form zu sein, Marcus. Reisen bekommt dir.«
»Sie sollten mich mal in meinen Pumphosen und dem bestickten Hut aus Palmyra sehen …« Ich seufzte. Geplauder über Orientalisches würde das Problem umschiffen, es aber nicht lösen.
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