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Gnadenfrist

Titel: Gnadenfrist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lindsey Davis
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lange dauern, bis er sie ausspuckt. Wir haben keine Zeit. Balbinus haut bestimmt gleich ab.«
    »Helena …«
    Helena wirbelte herum und knallte mir den Lageplan, den wir gezeichnet hatten, vor die Brust. Ihre Stimme war angespannt. »Entschuldige dich nicht schon wieder. Ich will nicht als letzte Erinnerung an dich ein ›Es tut mir leid!‹ im Ohr behalten. Erklär mir nichts. Ich weiß Bescheid!« schäumte sie. »Ihr habt das Überraschungsmoment verloren; ihr habt keine Unterstützung; keiner weiß, ob der Mann, hinter dem ihr her seid, überhaupt im Bordell ist – aber ihr geht rein !«

LX
    Ich übernahm das Kommando.
    Eilig reichte ich den Lageplan herum und wies sie an, reinzugehen und sich rasch und unauffällig im Gebäude zu verteilen. »Vergeßt die Diebe, vergeßt die Schläger. Vergeßt sogar Tibullinus und Arica. Sagt nichts und legt euch mit niemandem an, außer es muß sein. Rettet Igullius, wenn möglich, aber arbeitet euch vor bis unters Dach, in den rückwärtigen Teil und die entlegensten Räume des Bordells so lange, bis ihr Balbinus Pius gefunden habt.«
    »Und was dann?«
    »Dann schreit ihr, so laut ihr könnt, nach den anderen.«
    Ich bin ein Freund möglichst einfacher Pläne. Wenn etwas schiefging, würden sich zumindest unsere Verluste in Grenzen halten. Wir waren nur zu siebt.
     
    Wir schlüpften einzeln oder zu zweit hinein. Zahlten den Eintritt und zwinkerten der Empfangsdame zu.
    »Ich bin Itia und werde dafür sorgen, daß Sie sich bestens unterhalten.«
    »Vielen Dank, Itia.«
    »Sind Sie allein, oder erwarten Sie heute abend noch Freunde?«
    »Nur ein paar.«
    »Vielleicht können wir Ihnen dann einen Rabatt einräumen.«
    Ich hatte recht. Das Bordell hatte sich seine Eigenständigkeit bewahrt. Aber ich konnte mir nicht vorstellen, daß unser Rabatt die Form von Hilfe annehmen würde.
    Ich war als erster reingegangen und bewegte mich schnell, tat aber ganz zwanglos. An den Räumen im Erdgeschoß, den Garderobehaken und den Waschgelegenheiten ging ich vorbei. Die Männerstimmen waren lauter als bei meinen vorherigen Besuchen. Aus dem großen Raum, wo sich die Gangster versammelten, kam das Getöse trinkender und redender Männer. Ich schaute nicht hinein. Dort, unter den vielen Mitgliedern der verschiedenen Gangs, würde er nicht sein.
    Die Luft war bereits warm und dunstig von Lampenöl und Kerzenrauch. Weiter hinten schien es ruhiger zu sein. Dann weckte etwas meine Aufmerksamkeit. Ich trat in einen Raum, in dem aber nur ein ganz normales Geschäft abgewickelt wurde. Das Mädchen saß im Sattel. Ich spöttelte: »Freut mich zu sehen, daß du obenauf bist!« und schlug rasch die Tür zu.
    Dann erreichte ich die Treppe. Im ersten Stock blieb ich stehen und lauschte. Hinter mir schien alles wie immer. Kein Alarmgeschrei. Martinus und die anderen waren offenbar noch nicht entdeckt worden. Das würde nicht so bleiben.
    Immer noch keine Spur von Tibullinus und Arica. Ich öffnete weitere Türen, diesmal vorsichtiger. Entweder fand ich leere Zimmer vor oder eifrige Aktivitäten in Sachen Fleischeslust. Zum Teil auch solche, von denen ich noch nie gehört hatte, aber mir blieb nicht die Zeit, detaillierte Notizen zu machen.
    Das Bordell wirkte recht lebhaft, doch nicht in ausgelassener Feststimmung. Niemand hielt mich auf. Niemand wollte wissen, was ich hier tat. Balbinus würde Wachen haben, zum Beispiel den Müller. Ich würde an ihm vorbei müssen, hatte aber auch ihn bisher noch nicht gesehen.
    Je länger ich im Haus war, desto stärker hatte ich das Gefühl, mich dringend aus dem Staub machen zu müssen. Ich war jetzt so weit vorgedrungen, daß ich mich, falls etwas schiefging, niemals würde nach draußen zurückkämpfen können. Oft genug hatte ich als Spion feindliche Lager ausgekundschaftet, aber da hatte ich mich wenigstens irgendwie tarnen können. Hier kannte man mich zu gut. Helena hatte recht gehabt. Wir liefen vermutlich in eine Falle. Meine Haut begann zu kribbeln, als mich das sichere Gefühl überkam, daß jemand auf mich wartete.
    Schwacher Weihrauchduft hing in der Luft. Ich glaubte zu wissen, wo ich war. Ich erreichte einen breiteren Flur, von dem meiner Erinnerung nach größere Räume abgingen, die ich aber jetzt nicht näher untersuchte. Musik drang an mein Ohr. Ich sah Licht und hörte Gelächter. Meine Schritte wurden größer. Im letzten Moment versagte mein Gedächtnis, und ich stolperte in den großen Raum mit dem abgesenkten Fußboden, den Petro und ich

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