Gnadenfrist
als den Ort der Orgien ausgemacht hatten. Abrupt blieb ich stehen, von der Gewißheit erfüllt, daß hier gerade etwas absolut Pornographisches stattgefunden hatte oder demnächst stattfinden würde. Im aromatischen Rauch, der von den Kohlebecken aufstieg, traf mich die Atmosphäre wie ein Schlag; niemand, der diesen Raum betrat, würde behaupten wollen, er sei zu ehrbar, um mitzumachen.
Kandelaber umrahmten die erhöhte Sitzgalerie. Girlanden aus Rosen und anderen duftenden Blumen wanden und schlängelten sich überall. Eine kleine Gruppe von Musikanten stimmte ihre Instrumente: eine Handtrommel, Panflöten, Tamburine und eine Doppelflöte. Freundliche Mienen und diagonal geknüpfte, durchsichtige Tücher waren die einzige Bekleidung der Musiker. Dann erschien ein Mann im Satyrkostüm – mit allem, was dazugehörte: Fellhose, Ziegenhufe und deutlich sichtbares Arbeitsgerät. Sein stark geschminktes, zart lächelndes Gesicht stand im beunruhigenden Gegensatz zu seinen äußerst beachtlichen männlichen Attributen. Mit einer verträumten Geste hieß er mich willkommen. In der Mitte des abgesenkten Bodens vollführten vier bildhübsche Mädchen, keines von ihnen älter als fünfzehn, Aufwärmübungen mit einer trägen Grazie, die keinen Zweifel daran ließ, worauf das Ganze hinauslief. Sie waren unbekleidet, obwohl ihr eigentlicher Auftritt noch nicht begonnen hatte.
Rundherum saßen wartende Männer. Einige tranken Wein, andere schäkerten mit der Bedienung oder pulten sich in den Zähnen.
Mir gegenüber befand sich die Tür zu Lalages Gemächern. Es gab noch eine zweite Tür. Zu beiden Seiten davon steckten lange Fackeln, die einen Geruch von Apfelbaumholz verströmten, in hüfthohen Urnen. Vor der Tür lag eine gestreifte, unregelmäßig geformte Matte, offenbar ein Raubtierfell. Daneben stand ein regelrechter Muskelprotz und schwatzte mit einem Bürschchen, das einen bronzenen Wasserkrug hielt.
Die Musik begann. Ein Schauder lüsterner Erwartung ging durchs Publikum. Automatisch wanderte mein Blick zu den vier Mädchen hinüber. Jetzt hieß es entweder verschwinden oder sich verführen lassen. Ich hatte meine Entscheidung getroffen.
Wie auf der Suche nach einem Sitzplatz, schob ich mich an der Wand entlang. Als ich die Tür mit den Fackeln erreicht hatte, ruhte mein Blick immer noch auf den langsamen und verschlungenen Mustern, die das Mädchenquartett mit seinen schimmernden Körpern wob. Um mich herum starrten Männer mit erhitzten Gesichtern gebannt auf die Szene und hofften inbrünstig, daß bald der Moment käme, wo die akrobatische Damenriege nach einem Freiwilligen aus dem Publikum rief.
Es war mit Sicherheit wesentlich unterhaltsamer, als einem grauhaarigen Ägypter im langen Nachthemd bei seiner Darbietung von »Wo ist denn meine Schlange?« zuzuschauen.
Ich starrte mit dem gleichen Eifer wie die anderen und hoffte unwillkürlich, von dem zuckenden Leibergerangel schockiert zu werden. Den Blick immer noch auf das Geschehen gerichtet, lehnte ich mich gegen die bronzene Schafsbocktürklinke und schob mich rückwärts rasch durch die Tür.
Beim Umdrehen schloß ich sie. Es war eine solide, kunstvoll gearbeitete Tür, die sofort die Musik dämpfte. Wo auch immer ich hier gelandet sein mochte, es war auf jeden Fall stockdunkel. In der Nähe hörte ich ein schlurfendes Geräusch, gefolgt von einem metallischen Gerassel. Konnte das Igullius sein?
Ich öffnete die Tür einen Spaltbreit und griff nach einer der Dioskurenfackeln. Durch den kurzen Lichteinfall wurde ich gewarnt. Ich spürte eine Bewegung, wirbelte herum und schleuderte die Fackel nach rechts. Dann kam von links das laute Klirren einer schweren Kette, von einem Experten geworfen, die sich um mich legte und festgezogen wurde. Meine Fackel war auf einen Mosaikboden gefallen. In ihrem flackernden Lichtschein warf der Zenturio Tibullinus seinem Kumpel Arica quer durch den Raum eine weitere Kette zu, die ihm helfen sollte, mich zu verschnüren.
Mir blieb nur eine Chance. Meine Arme waren durch die Kette fest an meinen Körper gepreßt. Ich warf mich zurück, ruckte an der zweiten Kette, so daß Arica beim Auffangen das Gleichgewicht verlor.
Schmerz durchzuckte meine Arme, und meine Wirbelsäule wurde bös geprellt, als ich zu Boden ging. Arica taumelte gegen mich. Ich hatte beide Beine angewinkelt und trat mit voller Kraft zu, als er auf mich fiel.
Nicht fest genug. Er schrie auf, rappelte sich aber wieder hoch. Der Drecksack mußte eiserne
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