Gnadenfrist
Artischockenherzen verputzt. Da die Aufmerksamkeit nun auf ihn gerichtet war, machte ich mich über Laetas Sardellen her. »Und Sie sind Petronius Longus von der Aventinischen Wache?« Petro nickte, immer noch kauend. »Erklären Sie mir die Rolle der Vigiles. Ich verwechsle sie ständig mit den städtischen Kohorten …«
»Das passiert leicht«, bestätigte Petronius höflich. Gesättigt lehnte er sich auf seinem Schemel zurück und hielt Laeta seinen Vortrag für neue Rekruten: »Recht und Ordnung in dieser Stadt funktionieren so: Ganz oben steht die Prätorianergarde; die Kohorten Eins bis Neun unter dem Kommando des Prätorianerpräfekten; kaserniert im Prätorianerlager. Voll bewaffnet. Pflichten: erstens, den Kaiser zu schützen; zweitens, bei zeremoniellen Anlässen zu protzen. Sie sind eine handverlesene Elite und grauenvoll eingebildet. Als nächstes und ihnen angeschlossen kommen die Kohorten Zehn bis Zwölf, auch die Städtischen genannt. Ihr Kommandeur ist der Stadtpräfekt – ein Senator –, der praktisch die Stadt verwaltet. Sie sind mit Schwert und Messer ausgerüstet. Inoffiziell haben sie die Aufgabe, den Mob unter Kontrolle zu halten. Offizielle Pflichten: den Frieden erhalten, die Augen offenhalten und den Stadtpräfekten über absolut alles zu informieren.«
»Spionage?« fragte Laeta trocken. »Ich dachte, das wäre Anacrites’ Aufgabe?«
»Er spioniert sie aus, während sie uns ausspionieren«, bemerkte ich.
»Und ganz unten«, fuhr Petro fort, »dort, wo die wirkliche Arbeit getan wird, haben Sie die Vigiles unter dem Kommando des Präfekten der Vigiles. Unbewaffnet, aber militärisch geführt. Sieben Kohorten, jede mit einem Tribun, der ein ehemaliger Zenturio ist; jede bestehend aus sieben Zenturien, die zu Fuß Patrouillendienst machen. Rom hat vierzehn Verwaltungsbezirke. Jede Kohorte ist für zwei davon zuständig. Pflichten: alles, für das sich diese eingebildeten Pinkel aus dem Prätorianerlager zu fein sind.«
»Die Aventinische Wache deckt also den Zwölften und Dreizehnten Bezirk ab?«
»Ja. Wir sind die Vierte Kohorte.«
»Und Ihr Tribun ist –«
»Marcus Rubella.« Petro sprach selten von seinem Tribun. Er tat ihn freundlich als Exlegionär ab, der lieber weiterhin seine Soldaten auf dem Exerzierplatz hätte schleifen sollen.
»Ein Ritter?«
»Hat sich mit seinem Entlassungsgeld eingekauft. Womit er vom Rang her jetzt beinahe Verbrecherkönig sein könnte«, erwiderte Petro im Gedenken an Balbinus Pius trocken.
»Und die Vigiles haben vornehmlich die Aufgabe, als Feuerwehr zu dienen?«
»Das ist eine ihrer Aufgaben.« Petro hatte was dagegen, als bloßer Feuerwehrmann angesehen zu werden. »Ja, aber da damit nächtliche Streifengänge verbunden sind und zu der Zeit die meisten Verbrechen begangen werden, ist unsere Zuständigkeit ausgeweitet worden. Wir verfolgen Straßendiebe und Einbrecher, fangen entlaufene Sklaven ein, schauen den Verwaltern von Mietskasernen und Lagerhäusern auf die Finger. Auch die Kontrolle der Thermen kostet viel Zeit. Kleiderdiebstahl ist ein großes Problem.«
»Das heißt, Sie sind eine proletarische Einheit?« Wie jeder Beamte war Laeta von Titeln und Rängen besessen.
»Wir sind Freigelassene und ehrbare Bürger«, zischte Petro, der das gar nicht komisch fand.
»Oh, richtig. Und welche Position haben Sie selbst inne?«
»Ermittlungen«, sagte Petro. »Ich bin der leitende Ermittlungsbeamte für den Dreizehnten Bezirk. Die Patrouillen klappern die Gegend ab, schnüffeln nach Rauch und nehmen Missetäter fest, wenn sie über sie stolpern. Sie erledigen so grundlegende Aufgaben wie das Zusammenstauchen von Leuten, die ihre Kochstellen umkippen lassen. Aber jede Kohorte hat einen Offizier wie mich, der mit einer kleinen, dafür abgestellten Gruppe Hausdurchsuchungen und Verfolgungen vornimmt. Zwei sogar, eine für jeden Bezirk. Wir spüren gestohlene Trinkbecher auf und ermitteln, wer dem Schankmädchen das Brett über den Schädel gezogen hat.«
»Im Auftrag des Tribuns?«
»Nicht nur. Vieles machen wir auch für das Büro des Präfekten. Jeder Fall, der mehr als eine öffentliche Auspeitschung erfordert, wird automatisch an ihn verwiesen. Der Präfekt hat seinen eigenen Stab, außerdem einen Registrator für die diversen Listen der Unerwünschten, und einen Vernehmungsoffizier …«
»Der die Folterungen durchführt?«
»Wir finden, daß brutale Gewalt oft genau das Gegenteil bewirkt«, erwiderte Petro; das offizielle
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