Gnadenfrist
angepackt. So würde es funktionieren, daher hatte er sich keine Gedanken über Alternativen gemacht. Alternativen erwiesen sich meist als vertrackt. Schon das bloße Nachdenken darüber war Zeitverschwendung.
»Die Markthalle zu schließen, klingt ungeschickt«, gab er zu. »Aber ich habe vorausgedacht, Majestät. Wir haben es mit einer gut organisierten Bande zu tun, das ist klar. Die hatte bereits alle Sicherheitskräfte des Emporiums zum Narren gehalten.« Er hielt inne. Vespasian gab ihm mit einer Geste zu verstehen, er solle fortfahren. Petro kam in Fahrt: »Mir kam sofort der Gedanke, daß sie nach diesem extrem gut vorbereiteten Überfall nicht aufhören würden. Wir werden sie wiedersehen – entweder im Emporium oder anderswo. Im Moment sind sie mir überlegen. Ich brauche alle Fakten – und ich brauche sie schnell. Heute mußte ich ihre Methoden untersuchen – wie sie zum Beispiel vorab wußten, was es zu holen gab. Das war kein normaler Raubüberfall. Die Beute war außergewöhnlich, und ich sehe für Rom große Probleme voraus.«
Ohne die eigentliche Frage zu beantworten, war es Petronius Longus gelungen, die Situation im Zusammenhang darzustellen. Er hatte sich gut dabei geschlagen. Ich wußte, daß es nur ein Bluff war, aber er wirkte wie ein Mann, der zu planen verstand.
»Sie erwarten eine Wiederholung der heutigen Ereignisse?«
»Ich befürchte, ja, Majestät.«
Der Kaiser beugte sich plötzlich vor. »Hatten Sie das hier erwartet?«
Petronius zuckte unter der scharfen Frage nicht zusammen. »Nein, Majestät. Aber ich habe geahnt, daß irgendwas passieren würde.«
»Warum?«
»Weil in der Verbrecherwelt ein Machtvakuum entstanden ist.«
»Wieso das? Ach ja, Balbinus Pius, natürlich. Dafür waren Sie verantwortlich.«
Diesmal war Petro verblüfft. Ihm war nicht klar gewesen, daß die Wachstafel, die Vespasian bei unserem Eintritt studiert hatte, Informationen seines Sekretariats enthielt: eine kurze Zusammenfassung der heutigen Ereignisse, Petros beruflicher Werdegang, ein Resümee des Falles Balbinus, sogar höfliche Vorschläge zur Führung dieses Gesprächs.
Ich mischte mich ein: »Petronius Longus ist zu bescheiden, um Sie mit seinen Erfolgen zu unterhalten, Majestät. Er war in der Tat der Offizier, der für Balbinus’ Verurteilung gesorgt hat. Er fand die Gelegenheit dazu und hat die Sache durchgeführt. Doch damit nicht genug. Er war so vorausschauend, die Auswirkungen auf Rom zu bedenken.«
Vespasian ließ sich nicht anmerken, ob er mich gehört hatte, obwohl das zweifellos der Fall war. Er hielt den Blick auf Petro gerichtet, der sich problemlos selbst aus der Affäre ziehen konnte. Während meiner Brabbelei hatte er bereits seine Gedanken geordnet: »Mir war klar, Majestät, daß das schiere Ausmaß der Beute politische Auswirkungen haben würde.«
» Politische Auswirkungen?« Jetzt hatten wir die volle Aufmerksamkeit des Kaisers. Er selbst hatte ein Machtvakuum genutzt, als er die diversen Bewerber um den Thron aus dem Feld schlug und sich daran machte, die Folgen von Neros absurder Regierung und dem anschließenden Bürgerkrieg zu heilen. Noch mußte er sein Können unter Beweis stellen. Er arbeitete hart, aber die Wohltaten guter Regierungsarbeit sind nicht so schnell erkennbar wie die Verheerung, die eine schlechte auslöst. Die Macht war ihm immer noch nicht sicher.
Trocken bemerkte ich: »Ein Raubüberfall großen Stils läßt Zweifel an der Effektivität der Regierung aufkommen, Majestät.«
»Nein, der läßt eher an der Effektivität der Wache zweifeln!« gab der Kaiser zurück.
Petronius war sichtlich verärgert über mich. »Man wird sicher darüber murren, Majestät. Aber ich sehe diesen Diebstahl als Signal. Er war sehr dreist. Das ist eine offene Kriegserklärung.«
»Wem wird hier der Krieg erklärt?« schnappte der Kaiser. »Ihnen? Mir?«
»Zunächst mal der Wache«, erwiderte Petro langsam. »Und damit indirekt dem Staat. Und anderen Großkriminellen. Deshalb gehe ich davon aus, daß mehr als ein Stadtbezirk betroffen sein wird.«
»Das überschreitet Ihre Kompetenzen!« In dieser Hinsicht hatte Vespasian noch sehr altmodische Ansichten. Sofort verwies er Petro in seine Grenzen: »Das verlangt nach einer koordinierten Strategie.«
»Ja, Majestät«, stimmte Petro demütig zu. »Ich hatte natürlich vor, den Tribun meiner Kohorte und den Stadtpräfekten zu unterrichten.« So ein unverschämter Lügner!
Vespasian dachte darüber nach. »Ich sollte
Weitere Kostenlose Bücher