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Gnadenfrist

Titel: Gnadenfrist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lindsey Davis
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voller Schriftrollen und gestapelter Wachstafeln. Dort saßen die Sekretäre mit ihren Stilii. Sie schrieben sehr schnell, ohne gehetzt zu wirken. Ein junger Sklave mit klugen Augen, aber nicht besonders gutaussehend, stand schweigend neben dem Kaiser, ein Tuch über dem Arm. Vespasian goß sich selbst ein – einen halben Becher, nur zum Benetzen der Lippen. Er stellte ihn auf einem bronzenen Piedestal ab, um uns ansehen zu können.
    Der Kaiser war ein großer, umgänglicher, kompetenter Mann. Ein Organisator mit dem direkten, offenen Blick eines Schmiedes und einer bäuerlichen Arroganz, die mich an meinen Großvater erinnerte. Er wußte, an was er glaubte. Er sagte, was er dachte. Die Leute taten, was er sagte. Heute taten sie es, weil sie es mußten, aber sie waren schon gesprungen, wenn Vespasian bellte, lange bevor er Kaiser wurde.
    Er hatte alle zivilen Magistratsposten und die höchsten militärischen Ränge innegehabt. Jeder Posten seiner Laufbahn durch den cursus honorem hatte er aufgrund eigener Verdienste und den Vorurteilen der Oberschicht zum Trotz errungen. Nun hatte er den höchsten aller Posten inne. Die Oberschicht war immer noch gegen ihn, aber das konnte ihm jetzt egal sein.
    Er trug Purpur; das war sein Recht. Dazu weder Lorbeerkranz noch Juwelen. Sein schönster Schmuck war seine angeborene Intelligenz. Die jetzt auf uns gerichtet war. Ein unangenehmes Erlebnis.
    »Falco! Was machen Sie hier, und wer ist Ihr großer Leibwächter da?«
    Ich trat vor. »Eigentlich bin ich mehr zu seinem Schutz dabei, Majestät.« Petronius, verärgert über meine Witzelei, folgte mir; ich schob ihn vor. »Das ist mein Freund Lucius Petronius Longus, den Sie sprechen wollten: der Ermittlungsbeamte des aventinischen Sektors der Vierten Kohorte der Vigiles. Er ist einer der besten – aber er ist auch der Glückliche, der heute das Emporium geschlossen hat.«
    Vespasian Augustus sah Petronius durchdringend an. Petronius schaute selbstbewußt zurück, senkte den Blick dann aber lieber doch zu Boden. Der war aus Marmor; ein geschmackvolles Muster in Schwarz und Weiß. Das Mosaik war von einem erstklassigen Fliesenleger ausgeführt worden.
    »Das war ganz schön gewagt!« bemerkte der Kaiser. Petronius sah auf und grinste leicht. Er würde es schaffen. Ich verschränkte die Arme und strahlte ihn wie ein stolzer Trainer an, der seinen besten Gladiator vorführt.
    »Ich entschuldige mich für die Unannehmlichkeiten, Majestät.« Wenn Petronius sprach, klang das immer gut. Er besaß eine angenehme Stimme und eine ruhige Art. Er wirkte vertrauenswürdig. Das erklärte seinen Erfolg bei den behördlichen Wahlkomitees und bei Frauen.
    »Entschuldigungen reichen womöglich nicht aus«, erwiderte Vespasian. Im Gegensatz zu Wahlkomitees und Frauen erkannte er einen Schlawiner sofort. »Woher kennen Sie Falco?«
    »Wir haben gemeinsam bei der Zweiten Augusta gedient, Majestät.« Unsere Legion hatte einst unter Vespasians Kommando gestanden. Wir nahmen beide eine etwas keckere Haltung ein.
    »Ach ja?« Später war die Zweite in Verruf geraten. Betrübt ließen wir das Thema fallen. »Jetzt arbeiten Sie aber auf unterschiedlichen Gebieten.«
    »Wir sind beide um Recht und Ordnung bemüht, Majestät.« Ein bißchen zu fromm, dachte ich. Doch Petro konnte vielleicht damit durchkommen, da Vespasian ihn nicht allzu gut kannte. »Und genau das habe ich heute nach dem Diebstahl im Emporium getan.« Petronius kam immer gern im Galopp zur Sache. Erst durch freundliches Geplauder einen ersten Eindruck zu hinterlassen, war seiner schlichten Natur so fremd, daß er das Gespräch vorantrieb.
    »Sie wollten den Schaden einschätzen, bevor die Leute überall herumtrampelten.« Vespasian konnte Informationen rasch zusammenfassen; er formulierte die Erklärung, als sei es das Offensichtliche. Ich sah Petro leicht erröten. Ihm wurde klar, daß er zu schnell vorgeprescht war. Bei unserer Position in diesem Gespräch das Tempo zu bestimmen, war mehr als unhöflich. Unhöflich zu einem Kaiser zu sein, ist der erste Schritt dazu, seinen Hintern von einem Löwen beschnüffeln zu lassen. »Warum«, fragte der Kaiser kühl, »konnten Sie es nicht den Händlern überlassen, Ihnen die Verluste zu gegebener Zeit mitzuteilen? Sie darüber zu informieren, liegt in deren eigenem Interesse. Die Kaufleute wollen die gestohlenen Waren doch zurückbekommen. Warum also einen Aufstand provozieren?«
    Petronius schaute alarmiert. Er hatte die Dinge auf seine Weise

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