Gnadenfrist
berichten und mich in meinen Kommentaren nicht durch irgendwelche Loyalität an den Mann gebunden fühlen, der mich dorthingeschickt hatte.
»Entschuldigen Sie mich«, sagte ich kalt. »Ich habe hier einen Bericht vorzutragen …«
Claudius Laeta mußte das mitbekommen haben, denn er winkte Petro und mich zu sich; er saß direkt neben dem Kaiser. Auf Vespasians Anweisung leitete er die Sitzung. Was dabei gesagt wurde, ist natürlich vertraulich. Das Protokoll umfaßte eine halbe, eng beschriebene Schriftrolle. Ganz im Vertrauen, natürlich, ging es dabei um folgendes:
Die regulären Beamten kamen gleich zur Sache. Ab und zu wurden sie von Tribunen aufgehalten, die ihre persönlichen Theorien darlegten, die nichts mit dem Thema zu tun hatten und zum Teil unverständlich waren (unprotokolliert). Ein- oder zweimal warf einer der Präfekten eine banale Bemerkung ein (vom Sekretär im Protokoll mit Anführungszeichen versehen). Petronius Longus legte in klarer und verständlicher Form seine Ansicht dar, daß nach der Verbannung von Balbinus ein neuer Verbrecherkönig die Initiative ergriffen hatte. (Das, fast wörtlich, füllte den größten Teil des Protokolls.) Petronius war im Laufe des Morgens von einem Mann, der sich aus Schwierigkeiten herausredet, zu einem Anwärter für den Lorbeerkranz geworden. Er machte sich gut. Petronius verfügte über genau die richtige Skepsis.
Ich meinerseits wurde von Vespasian als sein Experte für das Leben auf der Straße konsultiert; es gelang mir, ein paar Ideen einzubringen, die recht sinnvoll klangen, obwohl ich schon jetzt wußte, daß ich später Schwierigkeiten haben würde, Helena Justina den genauen Inhalt wiederzugeben.
Anacrites wurde plötzlich von Titus gefragt, was seine professionellen Spione bemerkt hatten. Er hatte nur Geschwafel zu bieten. Seine Mannschaft war unbrauchbar, bekam fast nichts von dem mit, was tatsächlich in Rom vorging. Der Stadtpräfekt mischte sich hämisch ein und behauptete, seine Spione hätten ihm besorgniserregende Anzeichen von Unruhe gemeldet. Gebeten, sich deutlicher auszudrücken, verhaspelte er sich bald.
Wir mußten zwei Stunden debattieren, bis der Kaiser zufrieden war. Das Problem – so denn eines bestand – sollte mit Verve angegangen werden (ohne daß zusätzliche Männer eingezogen wurden). Der Präfekt der Vigiles sollte eine Sonderermittlung leiten und dem Stadtpräfekten berichten, der wiederum Titus Cäsar Bericht erstattete. Petronius Longus, der Rubella unterstellt war, der dem Präfekten der Vigiles unterstellt war, würde den Raubzug im Emporium aufklären und dann eine Einschätzung abgeben, ob es sich um ein einmaliges Unternehmen oder eine größere, weitergehendere Bedrohung handelte. Er hatte das Recht, alle Kohortentribunen auf mögliche Gefahren in einem bestimmten Bezirk hinzuweisen, und alle hatten die Pflicht, ihn zu unterstützen.
Anacrites wurde keine Aufgabe zugeteilt, doch als Höflichkeitsgeste flocht Titus ein, man ginge davon aus, daß seine Geheimagenten »wachsam bleiben« würden. Wir alle kannten diese Phrase. Im Klartext hieß das: Seine Leute sollten uns nicht in die Quere kommen.
Als einmalige, außergewöhnliche Maßnahme (das wurde von Vespasian mehrfach betont) würden die Händler, denen letzte Nacht im Emporium Waren gestohlen worden waren, eine Entschädigung bekommen. Aber nur, wenn ihr Name auf der offiziellen Liste stand. Martinus hatte diese Liste für Petronius mitgebracht, ein Lakai überreichte sie. Vespasian, der seine Pappenheimer kannte, wies sofort einen Schreiber an, die Liste für ihn zu kopieren.
Ich wurde als außerplanmäßiger Offizier zur Zusammenarbeit mit Petronius eingeteilt. Wie immer bei solchen Konferenzen, hatte ich hinterher keine Ahnung, was ich nun eigentlich tun sollte.
XII
»So, Marcus, du wolltest einen ruhigen Spaziergang auf dem Forum machen«, sinnierte Helena und reichte eine Platte mit Käsehäppchen an Silvia weiter. »Und bis du nach Hause kamst, war eine Verbrechensepidemie ausgebrochen, hast du einen kaiserlichen Auftrag an Land gezogen, und ihr beiden Herzchen seid zu Sonderermittlern ernannt worden?«
»Schlägt jeden Radiescheneinkauf«, bemerkte ich, doch da wir Gäste erwarteten, hatte ich auch das getan. Ein Hausherr muß eben vielseitig sein.
»Wird nett sein für die beiden, zusammenzuarbeiten«, meinte Arria Silvia. Petros Frau war klein und hübsch. Einst hatte ich gedacht, dieses strahlende, zierliche Mädchen mit Bändern im Haar
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