Gnadenfrist
Tunika ohne Oberteil gehalten. Die Brustwarzen des Jungen waren vergoldet und seine Augen mit Kajal vergrößert wie die eines Gottes auf einem ägyptischen Skarabäus. Meine Mutter hätte ihn noch nicht mal zum Rübenschrubben angestellt.
Nonnius hatte ein hageres Gesicht mit aristokratischer Adlernase, große Ohren und einen sehnigen Hals. Er hätte für die Statue eines republikanischen Redners Modell stehen können. Seine Gesichtszüge waren das, was man nach alter römischer Manier »charaktervoll« nannte: verkniffene Lippen und alle Anzeichen von Übellaunigkeit, falls sein Essen nicht pünktlich auf den Tisch kam.
Er war an die sechzig und fast kahl. Obwohl es ihm so schlecht ging, hatte er sich rasieren lassen; um es ihm erträglicher zu machen, hatte sein Barbier einen stark duftenden Balsam aufgetragen. Nonnius’ Tunika war in schlichtem Weiß gehalten und makellos sauber. Er trug keinen Schmuck, dafür aber offenbar seine Lieblingsstiefel. Sie sahen so aus, als hätten sie sich schon liebevoll in die Nieren mehrerer hundert säumiger Zahler gebohrt und würden immer noch jeden Tag gewienert, für den Fall, daß sie noch mal zutreten durften. Alles an diesem Mann deutete darauf hin, daß er auch uns, falls wir ihn ärgerten, mit Freuden in die Nieren treten würde.
Fusculus stellte mich vor. Wir hatten uns eine Geschichte zurechtgelegt: »Didius Falco ist Sonderbevollmächtigter und beauftragt worden, mit dem staatlichen Rechnungsprüfer zusammenzuarbeiten.«
Niemand glaubte das, aber es spielte keine Rolle.
»Ich bedaure, Sie so leidend zu sehen«, sagte ich mitleidig. »Ich werde wohl ein paar Zahlen durchgehen müssen, will aber alles so kurz wie möglich halten. Ich möchte Sie nicht ermüden …«
»Machen Sie Witze?« Nonnius’ Stimme klang kultiviert, doch wenn man genauer hinhörte, schwang eine rauhere Sprache deutlich mit. Nonnius war am Ufer des Tiber groß geworden. Ihn als kultiviert zu bezeichnen, war genau so widersinnig wie ein Schlachter, der beim Zerhacken von Ochsenrippen über Heraklits Theorie vom ständigen Wandel der Dinge sinnierte. Ich kannte mal so einen; große Rosinen im Hirn, aber stets darauf bedacht, einem zuviel Fett unterzujubeln.
»Mir wurde gesagt, Sie müßten sich schonen …«
»Balbinus’ Bücher zu filzen, scheint mir neuen Lebensmut gegeben zu haben!« Das konnte das letzte Aufbäumen eines Todkranken sein. Ich versuchte mir klar zu werden, ob der Drecksack wirklich krank war. Nonnius bemerkte das, also hustete er mitleiderregend. Das exotische Sklavenkind eilte sofort an seine Seite, um ihm die Stirn zu kühlen. Der Knirps konnte offenbar mehr, als mit seinen Fransen zu wedeln.
»Hilft Ihnen der Mann vom Schatzamt?« fragte ich.
»Nicht sonderlich.« Das war typisch für diese Kerle. »Wollen Sie ihn sehen?« fragte Nonnius gleichmütig. »Ich hab ihn in einen Extraraum gesetzt, damit er in aller Ruhe mit den Kügelchen seines Abakus spielen kann.«
»Nein, danke. Auf welche Summe sind Sie denn bisher gekommen?« fragte ich unerwartet.
Doch er hatte die Antwort parat: »Zwei Millionen, aber das ist noch nicht alles.«
Ich pfiff leise durch die Zähne. »Ein Haufen Asche!« Nonnius machte ein zufriedenes Gesicht, sagte aber nichts. »Sehr hübsch für Sie«, half ich nach.
»Wenn ich es in die Finger kriege. Balbinus hat versucht, es ganz oben im Schrank einzuschließen, wo niemand drankommt.«
»Doch nicht etwa der alte Trick mit dem ›Geschenk für den Bruder meiner Frau‹?«
Er warf mir einen anerkennenden Blick zu. »Den kannte ich noch nicht! Nein, ›Mitgift für den Mann meiner Tochter‹.«
Ich schüttelte den Kopf. »Damit hatte ich schon mal zu tun. Ich hab einen Juristen befragt; in so einem Fall sieht’s böse aus: Sie können nicht an die Kohle ran. Solange die Ehe hält, ist das Geld für die Familie verloren. Der Rechtsanspruch auf das Geld ist mit dem auf das Mädchen verbunden. Der Ehemann besitzt beides und ist dem Schwiegervater laut Gesetz nichts schuldig.«
»Vielleicht lassen sie sich scheiden!« schnaubte der Exschutzgeldeintreiber in einem Ton, der andeutete, daß es durchaus Mittel und Wege gebe, der Scheidung nachzuhelfen. Einmal ein Schläger, immer ein Schläger.
»Wenn die Mitgift groß genug war, wird die Liebe siegen«, warnte ich. »Genug Bares in der Hand pflegt Ehemänner romantisch zu stimmen.«
»Dann muß ich dem Mädchen eben erklären, daß ihr Mann ’ne hohle Nuß ist.«
»Oh, das wird sie
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