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Gnadenfrist

Titel: Gnadenfrist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lindsey Davis
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wußte, daß ihm niemand an den Kragen gehen würde, nachdem ich mich der Sache angenommen hatte; die Familie würde lieber warten, bis sie mir an den Kragen konnte. Wir brachten Marius dazu, das Müllbaby für den Nachmittag zu seiner Mutter mitzunehmen. Der Kleine kam viel herum. Helena hatte eine Amme gefunden, die ihn von Zeit zu Zeit stillte; zwischendurch wurde er dann in Mamas Haus mit der klebrigen Polenta gefüttert, die meine Schwestern, mich und zahllose Enkelkinder groß und stark gemacht hatte.
    »Deine Mutter stimmt mir zu; irgendwas ist mit dem Baby«, sagte Helena.
    »Mit dir wäre auch was, wenn man dich in einem Müllkarren auf dem Aventin ausgesetzt hätte. Übrigens, ich hab heute morgen Justinus getroffen. Er ist in eine Schauspielerin verknallt, aber ich werde versuchen, ihn davon abzubringen. Wir sind zu einem Geburtstagsessen bei deinen Eltern eingeladen. Ich werde die außerordentliche Freude haben, Aelianus vorgestellt zu werden.«
    »Oh nein!« rief Helena. »Ich wollte meinen Geburtstag genießen!«
    Daß sich die Beziehungen in Patrizierfamilien in nichts von meiner eigenen, gesellschaftlich so viel tieferstehenden Familie unterschieden, befriedigte mich immer wieder.
    »Wir werden bestimmt Spaß haben«, versprach ich ihr. »Deine Mutter bei ihrer bemühten Höflichkeit zu beobachten, während dein Vater sich am liebsten in seine Bibliothek verkriechen möchte, dein freundlicher Bruder von mir das Flirten mit leichten Mädchen lernen will und der unfreundliche mir Sauce ins Auge spritzt, das sollte schon für ein paar fröhliche Stunden sorgen.«
    »Geh du«, meinte Helena verzagt. »Ich glaube, ich bleibe zu Hause.«
     
    Flaccida, Balbinus’ Frau, wohnte in einem prächtigen Schmuckstück städtischer Architektur südlich vom Circus Maximus am Tempel der Ceres. Es war eines der wenigen Wohnhäuser im Elften Bezirk, günstig gelegen für das Verbrecher-Imperium, das sich Balbinus am Tiberufer aufgebaut hatte. Es lag im Schatten des Aventin, aber in einem Viertel, das, genau wie die Rennbahnen, nicht von Petros Kohorte, sondern von der Sechsten kontrolliert wurde.
    Zumindest wohnte Flaccida diese Woche noch hier. Eine große Tafel verkündete, das Haus stände zum Verkauf; sofort nach dem Gerichtsurteil konfisziert. Flaccida würde bald ausziehen müssen.
    Drinnen hallte jeder Schritt. Die Räume waren so gut wie leer, allerdings nicht aus stilistischen Gründen. Nur die festen Einbauten zeugten noch von dem üppigen Lebensstil, den Gangsterbosse genießen: endlose Mosaikböden und kunstvolle Wandmalereien, stuckgeschmückte Decken, hübsche muschelförmige Grotten mit gut gepflegten Springbrunnen. Selbst die Vogelbäder waren vergoldet.
    »Nett hier!« bemerkte ich, obwohl mir die Säulen zu massiv und die Ausstattung zu überwältigend waren.
    »Es war noch hübscher, als es voll war.«
    Flaccida war eine kleine, dünne Frau, eine Art Blondine von ungefähr fünfundvierzig Jahren. Aus zwanzig Schritt Entfernung sah sie immer noch hervorragend aus. Aus sechs Fuß waren die Spuren einer bewegten Vergangenheit unübersehbar. Sie trug ein Gewand aus einem so feinen Material, daß das Gewebe sich unter dem Gewicht der edelsteinbesetzten Schließen verzog. Ihr Gesicht und ihr Haar waren ein Triumph kosmetischer Behandlung. Aber ihre Augen waren ruhelos und mißtrauisch. Ihr Mund war eine harte, gerade Linie. Ihre Hände wirkten zu groß für die dünnen Arme. Die Proportionen stimmten nicht. An beiden Handgelenken trug sie Armreifen, die ihren hohen Preis zu laut hinausschrien, und an sämtlichen Fingern steckten teure Ringe.
    Natürlich musterte uns Flaccida von Kopf bis Fuß. Ich nahm an, wir bestanden die Musterung: Während Helena etwas Schlichtes gewählt hatte, war ich regelrecht aufgedonnert. So was hilft, wenn man in den Häusern der Reichen vorgelassen werden will. Verbrecher akzeptieren jeden, der ein sauberes Gesicht hat.
    Ich trug meine beste weiße Tunika, frisch gewaschen, und sogar eine Toga, in der ich mich wie ein vornehmer Patrizier bewegen konnte. Eine frische Rasur und ein wenig Pomade gaben Status vor, eine faustdicke Lüge. Eine Geldbörse klimperte an meinem Gürtel, und ich hatte den massiven Obsidianring meines Großonkels übergestreift. Helena folgte mir bescheiden. Auch sie war in Weiß, ein schlichtes Kleid mit geschlossenen Ärmeln und einem einfachen Wollgürtel. Ihre Frisur war so kunstlos wie immer, und sie trug keinen Schmuck, außer einem unbedeutenden

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