Gnadenlos: Auf der Flucht (German Edition)
abrechnen, wenn es an der Zeit war, was vermutlich nicht mehr lange dauern würde, aber im Moment ging es nur darum, seinen Bruder zu retten.
Zwei von Savins Männern würden sich zusammen mit ihm abseilen. Die anderen beiden würden mit dem Piloten und Acadia in der Luft bleiben. Die Männer würden ihm von oben Feuerschutz geben, wenn sie Gideon fanden und befreiten. Die Sonne war ein glühend heißer Feuerball, als sie hinter die Baumkronen sank. Zak ließ die Finger seiner linken Hand auf dem Zifferblatt von Gideons Uhr ruhen, die wie ein Talisman an seinem rechten Handgelenk prangte. Er trug eine zu große kugelsichere Weste, die er von einem der Männer bekommen hatte, dazu einen Helm und einen Augenschutz, und er war angeseilt. Acadia schmiegte sich an ihn und riss weit die Augen auf, während sie versuchte, das alles zu kapieren.
Sie ließ ihre schlanke, leicht feuchte Hand in die von Zak schlüpfen und verschränkte ihre Finger mit seinen.
Er wünschte sich mit jeder Faser, nicht hier zu sein. Die ganze Sache war so scheißgefährlich wie eine Besteigung des Mount Everest ohne Sauerstoffgerät. Die verschiedenen möglichen Ausgänge, von Verstümmelung über einen Fehlschlag bis hin zum Tod, waren der nackte Wahnsinn.
Er veränderte seine Tiefenwahrnehmung und ließ alles um sich herum verschwimmen, ein Trick, den er vor Jahren für Situationen gelernt hatte, in denen er sich ganz auf eine Sache konzentrieren musste. Er musste den ausgebildeten Profis vertrauen, dass sie Acadia vor Schaden bewahrten, während er sich auf die Rettung seines Bruders konzentrierte.
Zak hasste es, davon abhängig zu sein, dass andere seinen Job erledigten: die Frau zu beschützen, die er unschuldig in dieses Chaos mitreingezogen hatte.
Er hatte schon mal bei einer Frau versagt, die darauf gezählt hatte, dass er sie beschützte. Auch vor sich selbst. Er würde nicht noch mal versagen. Für einen Moment bekriegten sich Zaks Gewissen und sein Herz.
Was wäre, wenn er keinen sechsten Sinn entwickelt hatte, nachdem er offiziell gestorben war? Was, wenn er nur einen verdammten Dachschaden hatte und das alles Halluzinationen waren?
Was, wenn er dafür verantwortlich war, unschuldige Menschen mit sich auf einen verdammten Irrweg zu schleppen? Zak musste sich jetzt entscheiden. Die Zeit lief ihm davon. Sich abseilen und zu Gott beten, dass er seinen Bruder fand? Oder den Piloten abdrehen lassen und Acadia in Sicherheit bringen? Die Zahlen in seinem Kopf zogen weiter unbeirrt und ohne Unterbrechung an ihm vorbei.
Wenn er ihnen Glauben schenken durfte, befand sich Gideon an derselben Stelle wie noch vor einer Stunde. Das würde die Befreiung erleichtern.
Der Hubschrauber wurde allmählich langsamer und begann zu sinken.
Acadias Griff wurde fester. Entscheide dich, Stark.
Fünfunddreißig Jahre mit einem Bruder, den er verehrte, gegen eine Handvoll Tage mit Acadia?
Die Wahl sollte ihm nicht schwerfallen.
»Stark?«, sagte Reith in sein Headset und zeigte auf das Navi des Hubschraubers. Zak nickte. Die Koordinaten stimmten. Tatsächlich wurden die Zahlen in seinem Kopf irgendwie immer heller und lebendiger, je näher sie kamen. Gideon war irgendwo da unten …
Der andere Mann zählte mit den Fingern einen Fünf-Sekunden-Countdown.
Der Hubschrauber fiel noch hundert Meter ab.
Acadias Finger, die seine umklammerten, sahen klein und blutleer aus.
Das Geräusch der Rotoren würde jetzt am Boden zu hören sein, und schon bald würde man den Hubschrauber sehen. Aber in alle Richtungen gab es nichts als dichten Dschungel, meilenweit. Wer auch immer bei Gideon war, würde nicht weit kommen.
Zak löste seine Hand aus Acadias. Sie drehte den Kopf zu ihm und lächelte. Ein leichtes, tapferes Lächeln, das ihm in der Brust schmerzte, als wäre ihm etwas herausgerissen worden. Es tat weh und fühlte sich leer an und brutal. Mit einem scharfen Geräusch entwich ihm der Atem.
Weil er es nicht schaffte, sie nicht zu berühren, streckte er die Hand aus und legte zwei Finger auf ihren weichen Mund. Ihre Lippen streiften seine Finger, als sie sanft sagte: »Geh, Gideon holen, Zak. Bring ihn nach Hause.«
Bevor einer von ihnen beiden etwas verdammt Dummes tun konnte, stand er auf.
Reith schob die Tür auf und ließ die Seiltaschen fallen. Zak befestigte das M16 sicher über seiner Brust und sorgte dafür, dass das KA-BAR-Messer und die Seitenwaffe sich nicht selbstständig machten, wenn er sich abseilte, und wartete, bis er an der Reihe
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