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Gnadenlose Gedanken (German Edition)

Gnadenlose Gedanken (German Edition)

Titel: Gnadenlose Gedanken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Wagner
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war immer noch völlig benommen von dem Vorfall. Was wäre gewesen, wenn der Irre in seinem Wahnsinn ein kleines bisschen weniger Skrupel besessen hätte? Wenn ihm die Befriedigung seines bestialischen Tötungstriebes wichtiger gewesen wäre, als der daraus drohenden Strafe zu entgehen? Wenn er es in Kauf genommen hätte, für den Rest seines nutzlosen Lebens in einer Gefängniszelle zu sitzen, nur um seine Neugier zu befriedigen? Die Neugier, wie es wohl wäre, einen Menschen zu töten!
    Ich konnte es immer noch nicht glauben. Tief in mir verspürte ich den Wunsch, es als einen Albtraum abzutun, der mich im Wachzustand erwischt hatte. Doch eigentlich war mir sehr genau bewusst, dass tatsächlich ein Mann durch meine Stadt lief, der diese Horrorgedanken hatte. Und ausgerechnet ich war der einzige Mensch, der es wusste.

    Als ich wieder zu Hause ankam, bemerkte Manfred sofort, dass irgendetwas nicht so war, wie es sein sollte.
    „Was ist denn mit dir los? Geht es dir nicht gut? Du bist ja so blass wie ein Mehlsack!“

    Ich konnte in seinen Augen sehr genau ablesen, dass er sich tatsächlich Sorgen machte. Mehr als das! Er schien sogar so etwas wie ein schlechtes Gewissen zu haben, weil er mich alleine hatte losziehen lassen. Ich musste ihn beruhigen, damit er nicht versuchen würde, spätere Ausflüge zu verhindern. Ich war noch nicht fertig mit meinen Erkundigungen. Es gab noch so viele Menschen auszuhorchen, so viele Gedanken waren noch nicht gelesen. Und gab es denn etwas Wahreres als Gedanken? Wohl kaum!
    Wie hieß es so schön in dem uralten Protestsong? „Die Gedanken sind frei!“ Ich hatte mir nie die Mühe gemacht, über den Sinn des Textes genauer nachzudenken, er hatte mich nie besonders interessiert. Mir waren diese langhaarigen Protestler immer auf die Nerven gegangen, mit ihrem Gefasel von einer heileren Welt.
    Aber dass die Gedanken frei waren, hatte ich heute Nachmittag schmerzhaft erfahren müssen. Und dennoch hatte ich nicht vor, deshalb meine Erkundigungen einzustellen. Im Gegenteil. Jetzt war ich erst so richtig heiß darauf.

    Doch Manfred würde es fertigbringen, nicht mehr von meiner Seite zu weichen, wenn ich ihn nicht beruhigen konnte.

    „Keine Angst! Nix passiert. Ich bin lediglich ein bisschen zu schnell die Strasse raufgedüst, weil sich hinten ziemlich dunkle Wolken zusammenziehen. Und ich hatte keine Lust, mit meinem Rolli in ein Gewitter zu geraten. Man kann das Ding nicht unbedingt als einen brauchbaren Blitzableiter bezeichnen. Außerdem muss ich ziemlich dringend aufs Klo. Also könnten wir dann mal…?“
    Mein freundliches Lächeln lenkte ihn dann endgültig von seinen Sorgen und Selbstvorwürfen ab, und sie wurden abgelöst von seinem Pflichtbewusstsein. Als wir fünf Minuten später aus dem Bad kamen, hatte die Farbe meines Teints wieder die einer mitteleuropäischen Tönung angenommen, und Manfred hatte seinen Kummer bereits wieder vergessen.

6

    Am nächsten Morgen hatte ich wieder beste Laune, denn am Abend zuvor hatte mich meine Mutter zu einem gemeinsamen Essen mit Pfarrer Hofgang eingeladen. Mann, wie freute ich mich darauf! Ich hatte eigentlich gehofft, den Padre nach unserer letzten Unterhaltung nie wiedersehen zu müssen. Doch jetzt war ich ganz froh, dass er mir noch einmal ausgeliefert sein würde. Was hatte meine Mutter nur gegen ihn in der Hand, dass er sich das noch einmal antun wollte? Oder dachte er, ich würde ihn verschonen, wenn meine Mutter dabei sein würde? Im Gegenteil, es würde mir noch mehr Spaß machen! Ein Jäger brachte ja auch lieber
zwei
Hasen von der Pirsch mit, als nur einen, oder?

    Pünktlich um zwölf holte meine Mutter
persönlich
mich ab. Das alleine war schon ungewöhnlich, denn sie ließ sich eigentlich nicht gerne mit mir in der Öffentlichkeit sehen. Zu unangenehm waren ihr die neugierigen Blicke, die ich auf mich zog. Mir machte es seit den Solofahrten nichts mehr aus. Im Gegenteil, meistens machte ich mir einen Spaß daraus, die Blicke zu erwidern, und die Gaffer damit zu verunsichern.
    Doch meine Mutter mochte es nicht, aufzufallen. Sie war in jeglicher Beziehung ein kleines graues Mäuschen, das ständig mit seinen dünnen Barthaaren zitterte, aus Angst, der fette Kater könnte hinter der nächsten Ecke lauern, um es zu fressen. Am liebsten verkroch sie sich in ihrem Loch, wo sie sich nur dann heraustraute, wenn es absolut unvermeintlich war.
    Heute hatte sie mich abgeholt, und sie hatte es sich nicht nehmen lassen, meinen

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