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Gnadenlose Gedanken (German Edition)

Gnadenlose Gedanken (German Edition)

Titel: Gnadenlose Gedanken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Wagner
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ist stärker als eure Hexerei.“

    Der Geistliche blickte erstarrt in diese kranken Augen. Er hörte nicht die Worte dieses Ungeheuers, er spürte nicht seine gebrochenen Arme. Er fühlte auch nicht, wie sich die Zähne der Bestie in seine Gurgel vergruben. Er fühlte nur Gottes Gerechtigkeit, und war IHM unendlich dankbar dafür. ER erlöste ihn von seinen Gewissensbissen und Qualen, und holte ihn zu SICH. Mit einem leisen Quieken aus seiner zerfetzten Kehle, verschwand er aus dieser Welt.

    Jesus war enttäuscht, Tränen standen in seinen Augen. Er hatte darauf verzichten müssen, den Teufel im Priestergewand zu quälen, zu sehr war er von seiner Anwesenheit in der Wohnung des Krüppels überrascht gewesen. Er hatte nur mich und vielleicht noch Manfred erwartet; dass ich einen anderen Mann als Wache dort gelassen hatte, nahm er mir sehr übel. Er fand das nicht fair.

    Schnell hatte Jesus die kleine Wohnung durchsucht, doch sie war leer. Er hatte noch so vieles vor, doch solange ich noch lebte, konnte er sein Werk nicht beginnen. Ich stand zwischen ihm und seiner heiligen Mission. Erst wenn er mich besiegt hatte, konnte er die Erde von den übrigen Ratten befreien.

    „Du kannst mir nicht entkommen, kleine Ratte! Ich werde dich wittern und aufspüren. Dann endlich kann ich dein Blut trinken, und durch deinen Saft werde ich die Kraft bekommen, die ich brauche, um mein schwieriges Werk vollenden zu können“, sagte er mit blutverschmierter Fratze.

    Er sah aus wie ein kleiner Junge, der zuviel Schokoladeneis genascht hatte. In seinem kranken Hirn war nur noch Platz für einen Gedanken. Mich zu töten!

12

    Immer noch saßen wir vor dem alten Cottage und lachten über die Trinkfestigkeit der Iren. Es war der schönste Abend, den ich seit meinem Unfall erlebte.
    Plötzlich spürte ich wieder einen Stich hinter dem rechten Ohr. Zuerst nahm ich ihn gar nicht wahr, zu sehr war ich mit Lachen und Trinken beschäftigt. Dann fiel es mir wieder ein: ach ja, stimmt ja. Ich kann ja die Gedanken anderer Menschen lesen! Ich setzte mich aufrecht in meinen Rollstuhl, und war gespannt, wessen Gedanken ich nun empfangen würde. Vielleicht teilte mir Gertrud mit, ob sie Rolf immer noch so sehr liebte, dass sie ihm an jeden Ort der Erde folgen würde? Oder würde ich endlich einmal erfahren, ob Manfreds Gedanken mit seinen Äußerungen identisch waren?

    Doch die Gedanken, die in mein Gehirn strömen wollten, kamen nicht von meinen Trinkkumpanen, sie kamen von weit her. Sie waren sehr undeutlich, als ob jemand mit einem Tuch vor dem Mund sprechen würde.

    [„Ratte…Herr…Blu…Sünde…Sünde…Sünde…OHHERR…Ratte…Ratte…Ratte…Rat…“]

    „Was ist denn los mit dir, Robert?!“
    Manfred schaute mich erschrocken an.
    „Du siehst ja aus wie eine Leiche im Kühlhaus! Hast du zuviel getrunken? Aber soviel hast du doch gar nicht getrunken!“
    Auch Gertrud und Rolf waren besorgt. Sie hatten ihre Gläser auf den Tisch gestellt, Gertrud war aufgesprungen.
    „Keine Ahnung, Alter“, versuchte ich meinen Pfleger zu beruhigen.
    „Vielleicht vertrag ich ja doch nicht so viel, wie ich dachte? Ich glaube, es wäre das Beste, wenn du mich ganz schnell in die Koje bringen würdest. Eine Mütze voll Schlaf, und morgen geht`s mir schon wieder besser.“
    „Ok, kein Problem“, sagte er.

    Rasch verabschiedete ich mich von den beiden Auswanderern, die schon so manchen besoffenen Irlandreisenden erlebt hatten, und verschwand mit Manfred in unser Zimmer.

    Ich versuchte, mich zusammenzureißen. Ich wollte ihm nicht den schönen Abend verderben.
    „Es geht mir schon etwas besser. Tut mir echt leid, Manni. Ich glaube, ich sollte mich auf ein paar Guinness am Abend beschränken. Das hochprozentige Zeug scheint wohl nicht ganz meine Kragenweite zu sein.“
    „Kein Problem“, wiederholte er.
    Mein kleiner Schwächeanfall schien ihm die Sprache verschlagen zu haben.
    „Brauchst du noch etwas?“, fragte er fürsorglich, nachdem er mich ins Bett gehievt hatte.
    „Nein danke. Mir geht`s schon echt besser. Morgen früh bin ich wieder ganz der alte Kotzbrocken. Keine Bange. Setz dich doch noch ein wenig zu den Beiden. Es ist so ein schöner Abend! Ich komme schon klar. Ein wenig Ruhe könnte ich, ehrlich gesagt, gut gebrauchen.“

    Widerwillig verließ er den Raum. Er ließ mich nur ungern alleine, akzeptierte aber meinen Wunsch.

    Endlich alleine, versuchte ich die Gedanken zu sortieren. Meine eigenen und die verstümmelten, fremden.

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